Zeitenwende im Kino? Die besten Filme des Jahres 2022

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den vielzitierten Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Er steht im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und wurde wesentlich von Bundeskanzler Olaf Scholz geprägt. Dem Begriff inhärent ist seine semantische Janusköpfigkeit: Zeitenwende beschreibt das plötzliche Ende einer Epoche und zugleich den Beginn einer neuen Zeit. In gewisser Hinsicht ist diese darin liegende, vermeintliche Singularität jedoch eine Illusion: Tatsächlich gehören Aufrüstung und der Einsatz militärischer Gewalt schon seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire russischer wie chinesischer und auch westlicher Außenpolitik nach 1990. Dessen ungeachtet hat sich in diesem Zeitraum die deutsche Perzeption Internationaler Beziehungen zugunsten einer in normative Strukturen eingebetteten globalen Ordnung vom Modell eines anarchischen Staatensystems entfernt. Dahinter steht jedoch bestenfalls eine fahrlässige Naivität, im schlechtesten Falle eine überhebliche Fehleinschätzung der Realität. Denn imperialistische, revisionistische und reaktionäre Elemente sind nicht erst seit dem 24. Februar 2022 weltweit auf dem Vormarsch – auch im aktuellen Kino.

Dort weden immer mehr Filmklassiker neu aufgelegt („Nightmare Alley“; „Tod auf dem Nil“), Blockbuster aus den 1980ern erhalten einen Reboot („Top Gun: Maverick“; „Ghostbuster“), nostalgische Biopics erleben einen ungeahnten Boom („Blonde“; „Elvis“) und im übrigen wird Hollywood von lustfeindlichen „Franchise“-Systemen regiert, einem aus der Ökonomie stammenden Vertriebssystem zur Vermarktung möglichst standardisierter Produkte – was im Hinblick etwa auf die Filme des Marvel-Universums bedeutet, dass die immer gleichen ideologischen Narrative der immer gleichen charakterlosen Figuren reproduziert werden („Thor: Love and Thunder“; „Black Panther: Wakanda Forever“). Einzig in der Kostümierung unterscheiden sich die Machwerke noch voneinander,1SCHMITT, Wolfgang M., FLOP: Die schlechtesten Filme des Jahres 2022, 2022. innovative Filme oder gar einzigartige Kunst entsteht auf diese Weise nicht. So ist die Kinoleinwand mitunter blockiert von phantasie- und seelenlosen Kopien, die den Originalen nach Walter Benjamin überdies die „heilige Aura der Einmaligkeit“2BENJAMIN, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Walter Benjamin – Gesammelte Schriften Band I, 1980, S. 471–508. rauben. Geistiger Müll eben.3DATH, Dietmar, Wissen und Können in der gegenwärtigen Klassengesellschaft, Jacobin 11/2022, S. 49, 55.Folglich bedarf es auch im Kino einer Zeitenwende. Doch es gab auch einige Lichtblicke im Kinojahr 2022. Daher folgen jetzt in chronologischer Reihenfolge fünfzehn sehenswerte Filme, die auch in der Zukunft Bestand haben werden. Per Klick auf das Filmposter geht’s wie immer zum jeweiligen Trailer. Euch fehlen Filme in dieser Liste? Ab in die Kommentare damit!

Lamb


Film-Genre: Drama | Horror
Kino-Start: 06. Januar 2022
Regie: Valdimar Jóhannsson

María (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) arbeiten als Schafzüchter und hegen schon lange den Wunsch, endlich auch Nachwuchs in den eigenen vier Wänden zu haben. Dieser Wunsch wird ihnen zur Weihnachtszeit auf denkbar ungewöhnlichste Weise erfüllt, denn sie entdecken ein mysteriöses Neugeborenes auf ihrem Bauernhof in Island. Das Kind ist zur Hälfte Schaf, zur anderen Hälfte Mensch. Obwohl die Situation erst einmal einige Irritationen hervorruft, ist die Freude schließlich groß, mit ihrem kleinen Menschen-Lamm endlich eine eigene, kleine Familie gründen zu können. Nach und nach aber spült die Aufzucht der Kreatur immer mehr Probleme an die Oberfläche und scheint María und Ingvar langsam zu zerstören…

Kurzrezension: Mit visuell eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen und fast meditativer Gemächlichkeit erzählt Valdimar Jóhannsson in seinem Erstlingswerk ein metaphorisches Märchen, dessen Topoi um Familie, Verlust und nicht zuletzt um das Verhältnis des Menschen zur der ihn umgebenden Natur kreisen. Das Weihnachtswunder – die christliche Symbolik ist allgegenwärtig – entpuppt sich als Hybridwesen aus Mensch und Tier. Mit Hybriden bezeichnete der Mönch Gregor Mendel Erbsen, die durch Kreuzung aus ihrer naturgegebenen Bahn treten. Er kannte die Grundbedeutung des altgriechischen Begriffs hybris: Hochmut; Überheblichkeit; Übertretung der gottgebenen Naturordnung. Doch die wahre Hybris ist in diesem vielschichtigen Drama nicht die Kreuzung zwischen Mensch und Lamm. Maria nennt das Hybridwesen immer wieder ein Geschenk. Aber in ihrer gewaltsamen Aneignung des fremden Kindes liegt die tatsächliche Selbstüberhebung. Und die Natur schlägt mit der ihr eigenen Radikalität erbarmungslos zurück. Ein sehenswerter Film, der für ein nachhaltigeres Verständnis der Natur plädiert.

The Tragedy of Macbeth


Film-Genre: Drama | Tragödie
Kino-Start: 14. Januar 2022
Regie: Joel Coen

Macbeth (Denzel Washington), als Than von Glamis ein mächtiger Vasall des Königs, trifft auf ein geheimnisvolles Hexentrio (Kathryn Hunter), das ihm prophezeit, dass er selbst der nächste König Schottlands werden wird. Als er von Ehrgeiz verzehrt seiner Frau Lady Macbeth (Frances McDormand) von dieser Prophezeiung berichtet, schmiedet das Paar einen perfiden Plan zur Machtergreifung, der die Ermordung von König Duncan (Brendan Gleeson) vorsieht. Nach erfolgreicher Tatvollendung lässt sich Macbeth tatsächlich zum König krönen und errichtet eine Tyrannenherrschaft. Doch Macbeths Paranoia und die Machtgier seiner Frau kommen dem Ehepaar schließlich in die Quere und drohen, ihr Vorhaben zunichte zu machen…

Kurzrezension: Die Tragödie von William Shakespeare inspirierte schon viele bedeutende Regisseure zu Leinwand-Adaptionen – darunter Orson Welles, Roman Polanski und Akira Kurosawa. Ist eine erneute Leinwandadaption also überhaupt noch notwendig? Und das auch noch in Schwarz-Weiß? Vielleicht nicht. Die erste Regiearbeit, die Joel Coen ohne seinen Bruder Ethan vorlegt, begeistert allerdings mit einer brillianten Besetzung und einem einzigartigem Stil, der durch die kontrastreiche Beleuchtung stellenweise an Werke des deutschen Expressionismus („Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“) erinnert. Wie Schwerthiebe durchziehen Schatten das Geschehen und lassen die Furchen auf dem Gesicht von Macbeth noch tiefer erscheinen. Inhaltlich orientiert sich „Macbeth“ eng an der literarischen Vorlage, doch wenn Joel Coen weiter mit einer derartigen Experimentierfreude Filme macht, darf man sich wohl noch auf manches grandiose Kinoerlebnis freuen.

Niemand ist bei den Kälbern


Film-Genre: Drama
Kino-Start: 20. Januar 2022
Regie: Sabrina Sarabi

Es ist Hochsommer in Schattin, einem Provinznest im Norden von Mecklenburg-Vorpommern. Die 24-jährige Christin (Saskia Rosendahl) lebt hier mit ihrem ein Jahr älteren Freund Jan (Rick Okon) auf dem Milchviehhof seines Vaters mitten in der ostdeutschen Provinz. Hier gibt es fünf Häuser, eine Bushaltestelle, Kühe und jede Menge Felder. Von der Aufbruchstimmung der Nachwendejahre, die die Jugend von Christin und Jan prägte, spüren sie schon seit langer Zeit gar nichts mehr. Hinzu kommt, dass auch ihre Liebe zueinander weitgehend erloschen ist. Christin hat dieses Leben mehr als nur satt und will aus der provinziellen Enge Schattins verschwinden. Wohin, weiß sie noch nicht. Als eines Tages der 46-jährige Windkraftingenieur Klaus (Godehard Giese) aus Hamburg auftaucht, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt…

Kurzrezension: Mit ihrer Verfilmung der gleichnamigen Romanvorlage von Alina Herbig wirft Sabrina Sarabi einen einfühlsamen, aber dennoch realistischen Blick auf das Landleben fernab urbaner Klischees, wobei sie zugleich universelle Fragen zu Geschlechterrollen in einem patriachalisch geprägten Umfeld sowie dem Verhältnis zwischen Tradition und Moderne verhandelt. Die ausgezeichnete Saskia Rosendahl spielt Christin dabei nicht nur als verletzliches Opfer, sondern verleiht ihr hinter einer Mauer aus Agonie einen ambivalenten Charakter zwischen fast kindlicher Naivität und allgegenwärtiger Beklemmung. Christin sieht für sich keine Perspektive, will aber ihre ungestillten Sehnsüchte auch nicht aufgeben. In der Gesamtschau gelingt ein spannendes, weil vielschichtiges Gefühlsportrait einer jungen Erwachsenen, die versucht, sich aus den starren, ihr aufgezwungenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu emanzipieren.

Licorice Pizza


Film-Genre: Drama | Komödie
Kino-Start: 27. Januar 2022
Regie: Paul Thomas Anderson

Wir schreiben das Jahr 1973: Als der 15-jährige Gary Valentine (Cooper Hoffman) die Foto-Assistentin Alana Kane (Alana Haim) erblickt, ist es um ihn geschehen. Obwohl sie zehn Jahre älter ist, überredet der selbstbewusste Teenager sie zum Abendessen in seinem Stammrestaurant. Bezahlen ist für ihn kein Problem, denn Gary ist sowohl Kinderdarsteller als auch angehender Entrepreneur, der bereits seine eigene PR-Firma gegründet hat. Alana und Gary freunden sich daraufhin immer enger an, gründen ein gemeinsames Wasserbett-Geschäft und können fortan nicht mehr ohneeinander. Doch inmitten des alltäglichen Trubels aus Gelegenheitsjobs und Schauspielkarriere, Freunden und Politik, Vinyl und Super 8 entstehen mit der Zeit zwischen den beiden auch intensivere Gefühle…

Kurzrezension: Für sein neues Coming-of-Age-Drama zeichnet Regisseur Paul Thomas Anderson ein sonnendurchflutetes, schwereloses, aber nicht romantisierendes Portrait der frühen 1970er Jahre im San Fernando Valley. Die unkonventionelle Geschichte über die beiden Protagonisten, die mit unbekümmerter Leichtigkeit von Ort zu Ort, von Person zu Person, von Ereignis zu Ereignis schlittern, wartet mit jeder Menge skurriler Situationen und ständigen Richtungswechsel auf. Zwischen New Hollywood und Schauspielkarriere, Wasserbetten und Geldverdienen, Ölpreisschock, wechselseitigen Liebschaften und politischen Ambitionen entsteht in lockerer Szenenfolge fast beiläufig eine vollkommen aus dem Rahmen fallende Liebesgeschichte, die so sehr begeistert, dass etwaige Bedenken über den Altersunterschied weggefegt werden. Die Hauptdarsteller Cooper Hoffman, Sohn des 2014 verstorbenen Philip Seymour Hofman, und Alana Haim überzeugen mit ihrer natürlichen Leinwandpräsenz und stellen sogar gestandene Schauspieler wie Sean Penn, Tom Waits und Bradley Cooper mühelos in den Schatten. So ist „Licorice Pizza“ ein vielseitiger Film von radikaler, aber genialer Einfachheit.

The Batman


Film-Genre: Kriminalfilm | Action
Kino-Start: 03. März 2022
Regie: Matt Reeves:

Zwei Jahre lang jagte Bruce Wayne als Batman (Robert Pattinson) Verbrecher auf der Straße und geriet dabei immer tiefer in die Schattenwelt Gothams. Im korrupten Netzwerk der Beamten und VIPs konnte er nur auf wenige Vertraute zählen, daher verkörperte er bald als Einziger die Rache der Bürger. Als ein Killer es mit einer Vielzahl an sadistischen Machenschaften auf die Elite Gothams abgesehen hat, führt eine Spur aus mysteriösen Hinweisen den weltbesten Detektiv in die Unterwelt, wo er auf Selina Kyle alias Catwoman (Zoë Kravitz), Oswald Cobblepot alias der Pinguin (Colin Farrell), Carmine Falcone (John Turturro) und Edward Nashton alias der Riddler (Paul Dano) trifft. Mit der Zeit wird das wahre Ausmaß des verbrecherischen Plans klar und die Beweise deuten immer mehr auf einen Kriminellen im näheren Umfeld Batmans hin. Nun muss Batman neue Kontakte knüpfen, den Verbrecher entlarven und den Machtmissbrauch und die Korruption, die Gotham schon lange im Griff haben, gnadenlos niederschlagen…

Kurzrezension: Matt Reeves erzählt in seiner dreistündigen, fast expressionistischen Dystopie keinen typischen Superheldenfilm, sondern eine Detektivgeschichte im Stile des Neo-Noirs um Korruption und Verbrechen, Selbstjustiz und die Macht der Sozialen Medien. Dabei überzeugt Robert Pattinson als düsterner Getriebener, der an der ganzen Welt Rache für den Tod seiner Eltern nehmen will. Wenn er dann doch als Milliardär Bruce Wayne auftritt, dann als von seinen nächtlichen Ausflügen gezeichneter Mann mit schmierigen Haaren und tiefen Augenringen, der sich selbst als „nachtaktives Tier“ bezeichnet. Wer ist hier eigentlich der Gute? Wer kämpft auf der richtigen Seite für Gerechtigkeit? Die Grenzen zwischen wahrer Identität und Maskerade verschwimmen immer mehr, die Parallelen zwischen Batman und seinem Widersacher sind offensichtlich. Schließlich wird klar, dass die Gesellschaft die Erlösung, die sie fast schon flehentlich sucht, nicht mehr finden wird. Nicht nur, weil ihr vermeintlichter Heilsbringer Batman selbst ein gebrochener Außenseiter ist, der resigniert seinen Platz im Hier und Jetzt sucht. Auch weil die korrupten Gesellschaftsstrukturen Gothams längst ein Produkt der Dekadenz sind. Stilistisch herausragende Neuinterpretation des Rächer-Mythos, die in der Gesamtschau doch etwas zu lang gerät.

The Outfit – Verbrechen nach Maß


Film-Genre: Thriller
Kino-Start: 03. März 2022
Regie: Graham Moore

Chicago im Jahr 1956: Nach einer privaten Tragödie zieht der sanftmütige Londoner Maßschneider Leonard Burling (Mark Rylance) in die „Windy City“ und erregt mit seiner Begabung schnell die Aufmerksamkeit der Gangsterfamilie Boyle. In ihrem Dienst beweist Leonard nicht nur sein Talent für Nadel und Schere, sondern auch höchste Diskretion bezüglich der Geschäftsgespräche in seinem Laden sowie der geheimnisvollen Päckchen, die dort zur Abholung hinterlegt werden. Als eines Nachts die zwei Killer Richie (Dylan O’Brien) und Francis (Johnny Flynn) an seine Türe klopfen und ihn um einen Gefallen bitten, werden Leonard und seine Assistentin Mable (Zoey Deutch) tiefer in die kriminellen Machenschaften verstrickt, als sie es sich je hätten vorstellen können…

Kurzrezension: Mit seinem sehenswerten Regiedebüt legt Graham Moore einen mit viel Liebe zum Detail inszenierten Kammerspiel-Thriller vor. In bester Hitchcock-Manier entfaltet er eine spannende Handlung um geheime Verhältnisse zu Mafiasöhnen, kriminelle Machenschaften und – ein klassischer MacGuffin darf natürlich nicht fehlen – ein Tonband mit dem wichtigen Mitschnitt eines offenbar verwanzten Geschäfts. Inhaltlich wird dabei die durchaus politische Frage verhandelt, inwieweit Geschäfte mit skrupellosen Partnern möglich sind, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Ab wann stellt man sich selbst ins Unrecht? Bei der Beantwortung dieser Fragen blickt „The Outfit“ hinter die Fassade und fordert den Zuschauer auf, mit der Natur des Menschen auf Tuchfühlung zu gehen: Zwar scheinen sich sämtliche Protagonisten eindeutig zu positionieren, doch Moore hat kein Interesse an simpler Schwarzweißzeichnung. Jede seiner Figuren hat etwas zu verbergen. Durch die erstklassige Schauspielleistung aller Akteure, allen voran der brilliante Mark Rylance, wird dieses Kammerspiel zu einem wahren Film-Erlebnis.

The Card Counter


Film-Genre: Thriller
Kino-Start: 03. März 2022
Regie: Paul Schrader

William Tell (Oscar Isaac) hat die hohe Kunst des Kartenzählens perfektioniert. Nicht nur als Hobby, sondern auch um seine inneren Dämonen irgendwie zu bändigen. Der ehemalige Elite-Soldat hat eine Schuld auf sich geladen, die ihn einst für zehn Jahre ins Gefängnis brachte. Nach seiner Entlassung beginnt er als Pokerspieler durch die Staaten zu touren und folgt dabei einer strengen Routine. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hält er den Einsatz konsequent niedrig – bis er schließlich auf den jungen Cirk (Tye Sheridan) trifft. Die beiden haben einen gemeinsamen Freund und Cirk will den ehemaligen Soldaten für seinen Racheplan gewinnen. William hingegen sieht in dem jungen Mann seine Chance auf Vergebung. Zusammen mit seiner Agentin La Linda (Tiffany Haddish) will er erstmals um das große Geld spielen – doch die Geister der Vergangenheit lassen sich nicht ohne Weiteres abschütteln…

Kurzrezension: Die visuell überzeugende Charakterstudie des US-Amerikaners Paul Schrader vergisst nicht, was viele Vertreter der sogenannten wertegeleiteten Außenpolitik nur zu gern verdrängen wollen: die Menschenrechtsverletzungen in den amerikanischen Foltergefängnissen im Irak. „The Card Counter“ ist als ruhiges, atmosphärisch intensives Psychogramm konzipert, einzig die experimentiell inszenierten Rückblicke in Tells Zeit als folternder Verhörspezialist sind dazu ein aufwühlender Kontrast. Dennoch bleibt die Intention des Protagonisten nahezu den gesamten Film über nebulös, er lässt sich nicht ein Stück weit in die Karten schauen. Am liebsten würde der Mann, der sich nach dem legendären Schweizer Freiheitskämpfer benennt, wohl unsichtbar sein: Wenn er ein neues Hotelzimmer bezieht, hüllt er zunächst jedes einzelne Möbelstück in weiße Laken, am Pokertisch trägt er nur dunkle Farben, weshalb er mitunter fast im Hintergrund verschwindet. Übrig bleibt nur eine tragische Figur, die persönliche Schuld auf sich geladen hat und nach der Möglichkeit sucht, dieses Seelentrauma zu überwinden. Schließlich scheint ein Ausweg allein in der emotionalen Verbindung zu La Linda zu liegen. Bei einem Spaziergang durch den Austin Trail of Lights entsteht folglich ein kurzer Moment spröder Zärtlichkeit – doch Tell ist in den Schatten seiner Vergangenheit gefangen.

Red Rocket


Film-Genre: Drama | Komödie
Kino-Start: 14. April 2022
Regie: Sean Baker

Ganze 17 Jahre lang war Mikey „Saber“ Davies (Simon Rex) nicht mehr in seiner Heimat: der Kleinstadt Texas City an der Küste des Golfs von Mexiko, südlich von Houston. Stattdessen hat er in Los Angeles eine Karriere als Pornostar verfolgt. Doch die Jahres seines erfolges liegen nun hinter ihm und sein Ruf verblasst. So kehrt er nahezu mittelos nach Hause zurück, wo seine von ihm verlassene Ehefrau Lexi (Bree Elrod) und seine Schwiegermutter Lil (Brenda Deiss) leben. Unter der Voraussetzung, dass er sich einen Job sucht und Aufgaben im Haushalt erledigt, darf er wieder bei ihnen einziehen. Gerade als diese eigentlich dysfunktionale Gemeinschaft einigermaßen zu funktionieren scheint, lernt Mikey hinter dem Verkaufstresen eines Donut-Geschäfts die junge, fröhliche Strawberry (Suzanna Son) kennen und fällt mir ihr sofort wieder in seine alten Gewohnheiten zurück. Denn sie könnte seine Fahrkarte zurück in das Geschäft sein, dass ihn einst groß gemacht hat…

Kurzrezension: Schon mit seinem Oscar-nominierten Vorgänger-Film „The Florida Project“ legte Sean Baker, der Shooting-Star der US-amerikanischen Indie-Szene, ein fast schon dokumentarisches Portrait einer weißen Unterschicht vor, die mit Selbstbewusstsein und Stolz ein Leben am Rande der Gesellschaft führt. In seiner neuen Tragikkomödie konzentriert er sich erneut auf eine Bestandsaufnahme dieser prekären Verhältnisse: Seine Protagonisten haben ihr Ziel zwar unmittelbar vor Augen, erfüllen wird sich der American Dream für sie jedoch nicht. Obwohl die Handlung während des von beiden Seiten subaltern geführten Wahlkampfs zwischen Donald Trump und Hillary Clinton angesiedelt ist, verzichtet Baker gänzlich auf eine moralisierende Wertung, sondern erschafft selbstbestimmte Charaktere, die mit mal mehr, mal weniger legalen Mitteln den Stürmen des (Über-)Lebens trotzen. So gelingt ihm ein dicht inszenierter, oft anrührender und auf unaufdringliche Weise relevanter Film.

Blutsauger – Eine marxistische Vampirkomödie


Film-Genre: Komödie
Kino-Start: 12. Mai 2022
Regie: Julian Radlmaier

Die Sowjetunion im Jahr 1928: Wie aus dem Nichts wird der Fabrikarbeiter Ljowushka (Aleksandre Koberidze) für die Rolle des Leo Trotzki im neuen Film von Sergei Eisenstein (Anton Gonopolski) besetzt. Doch als Trotzki bei Josef Stalin in Ungnade fällt, wird Ljowushka kurzerhand aus dem Film geschnitten und beschließt, in der Filmindustrie Hollywoods Fuß zu fassen. Auf dem Weg in die USA strandet Ljowushka in einem mondänen Ostsee-Bad, wo er sich als Adeliger ausgibt, um an das erforderliche Geld für die weitere Schiffsreise nach New York zu gelangen. Dabei lernt er die junge Fabrikantin Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg) kennen, die die Sommermonate mit ihrem tollpatschigen Diener Jakob (Alexander Herbst) am Meer verbringt. Die exzentrische Millionärin interessiert sich für den geheimnisvollen Flüchtling und bietet ihm Unterschlupf in ihrem luxuriösen Herrenhaus. Schnell fliegt seine Tarnung auf, aber noch schneller hat er sich in seine schillernde Gastgeberin verliebt – sehr zum Verdruss des literarisch ambitionierten Jakob, der ebenfalls für seine Chefin schwärmt. Die sich anbahnende Romanze wird jedoch von mysteriösen Vampirangriffen in der Gegend überschattet…

Kurzrezension: Marxistisch gelesen bedeutet Ausbeutung nicht, dass der Arbeiter um einen Teil des ihm insgeheim zustehenden Lohnes betrogen wird. Vielmehr wird er im Kapitalismus gezwungen, Mehrarbeit zu leisten, ohne dass er selbst von dieser Mehrarbeit profitiert. Wie lässt sich dieser Ausbeutungsbegriff nun am besten visualisieren? Julian Radlmaier nimmt die Marx’sche Metapher vom Kapitalisten als Vampir wörtlich und bastelt daraus eine skurille Sittenkomödie zwischen proletarischen Lesezirkeln, Goldenen Zwanzigern und stalinistischer Verfolgung. Der dialektische Klassenwiderspruch wird dabei unmittelbar durch das Schauspielensemble hervorgehoben, da die Rollen der Ausbeuter durch professionelle Schauspieler wie Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg und Andreas Döhler übernommen werden. Das Proletariat indes ist durchweg mit Laiendarstellern besetzt. Während letztere häufig in Nahaufnahmen zu sehen sind, in denen sie ihren Text wenig geschliffen rezitieren, verströmen die Auftritte der Profi-Mimen Elan und Esprit. Aus diesem Aufeinanderprallen der (Klassen-)Gegensätze zieht der Film seine besondere Ästhetik.

Bullet Train


Film-Genre: Action | Thriller
Kino-Start: 19. Juli 2022
Regie: David Leitch

Bullet Train: So wird der Shinkansen-Zug auf der Strecke Tokio-Kyōto auch genannt, da er mit unglaublichen 320 Kilometern pro Stunde zwischen den beiden Städten hin und her rast – Aussteigen (fast) unmöglich. An Bord dieses Bullet Train befindet sich auch Ladybug (Brad Pitt), ein vom Pech verfolgter Auftragskiller, der im Hochgeschwindigkeitszug sein nächstes Opfer erledigen soll. Nach einigen Rückschlägen für Ladybug muss dieses Mal einfach alles gut gehen. Doch auch dieser Auftrag wird nicht einfach, denn mit Tangerine (Aaron Taylor-Johnson), Prince (Joey King), Hornet (Zazie Beetz), Lemon (Brian Tyree Henry) und Kimura (Andrew Koji) sind noch fünf weitere Auftragskiller an Bord. Erstaunlicherweise haben es jedoch nicht alle auf die gleiche Zielperson abgesehen – und doch scheinen ihre Aufträge miteinander verbunden. Natürlich kommen sich die eiskalten Auftragsmörder in die Quere und im schnellsten Zug Japans entbrennt ein chaotischer Kampf auf Leben und Tod.

Kurzrezension: Zunächst stellt sich die neue Regiearbeit von David Leitch als rasant inszenierter und dynamisch erzählter Actionthriller auf beschränktem Raum dar, der zwar einige dramaturgische Schwächen aufweist, über die jedoch ein erstklassiges Schauspiel-Ensemble und die zahlreichen popkulturellen Referenzen des Drehbuchs mühelos hinwegtragen können. Einen faden Beigeschmack hinterlässt allerdings die philosophische Grundprämisse des Films, die von einem deterministischen Weltbild ausgeht, also sowohl den Zufall als auch die Existenz eines freien Willens negiert. So begibt sich nicht nur Ladybug immer wieder in die Hände des Schicksals und die zahlreichen flashbacks dienen letztlich nur als Stilmittel, um die Wirkung der Vorsehung sichtbar zu machen. Dieses deterministische Element steht jedoch eigentlich dem Genre des Actionfilms von Grund auf entgegen, denn dieses möchte per definitionem gerade durch freiverantwortliche Handlungen eine Geschichte erzählen. In der Realität tritt eben einfach nicht nur das ein, was zuvor im Skript steht.

Men – Was dich sucht, wird dich finden


Film-Genre: Horror | Thriller

Kino-Start: 21. Juli 2022
Regie: Alex Garland

Nachdem sie ein persönliches Drama erlebt hat, beschließt Harper (Jessie Buckley), sich eine Auszeit zu nehmen. Sie mietet ein luxuriöses Cottage auf dem Land und hofft, in der Beschaulichkeit des englischen Dörfchens und der umliegenden Wälder Ruhe zu finden. Doch bald kommt es zu sonderbaren Begegnungen mit den Dorfbewohnern. Über ihren schrulligen Vermieter Geoffrey (Rory Kinnear) kann Harper zunächst noch lachen. Aber als sie bei einem Waldspaziergang auf einen nackten Mann trifft, der sie zu verfolgen scheint, und später auch noch vom örtlichen Pfarrer in ein unangenehmes Gespräch verwickelt wird, beginnt sie sich zu fragen, ob mit dem Ort etwas nicht stimmt. Die Situation wird zunehmend bedrohlich und der Ausflug ins vermeintliche Paradies entwickelt sich für Harper zu einem absoluten Albtraum, in den sich Erinnerungen an ihre persönliche Tragödie mischen und aus dem es kein Entkommen zu geben scheint…

Kurzrezension: Der isolierte Befund, Alex Garland suche mit seinem neuesten Film unbeholfen den Anschluss an die gegenwärtigen Debatten des Feminismus, greift zu kurz: Zwar wird der von der Protagonistin erlebte Schrecken prima facie von einer (selbst-)zerstörerischen männlichen Omnipräsenz verursacht, hinzu kommt jedoch ein anderes, bereits aus früheren Filmen Garlands bekanntes Motiv: die Bedeutung emotionaler Bindungen im Angesicht einer existenziellen Bedrohung. Sowohl in „Ex Machina“ als auch in „Auslöschung“ wenden sich die Protagonisten gerade trotz oder wegen des bevorstehenden apokalyptischen Niedergangs der Liebe zu. In „Men“ hingegen droht das, was originär als Liebe begonnen hat, Harpers Psyche und schließlich ihre Physis auszulöschen. Diese aussichtslose Suche einer Frau nach ihrer emotionalen Unabhängigkeit, einem urmenschlichem Bedürfnis, das sie durch ihre traumatisierende Beziehung verloren hat, beeindruckt visuell mit ästhetischen Bildkompositionen, einer polysemen Farbsymbolik und malerischen Landschaftsaufnahmen – bevor der Zuschauer im letzten Akt auf verstörende und plumpe Weise zurückgelassen wird.

Nope


Film-Genre: Horror | Science-Fiction | Western
Kino-Start: 11. August 2022
Regie: Jordan Peele

Außerhalb von Los Angeles, im trockenen und weitläufigen Santa Clarita Valley, leben die Geschwister OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald Haywood (Keke Palmer). Sie betreiben eine Pferderanch, die sie von ihrem Vater, dem legendären Pferdetrainer Otis Haywood Sr. (Keith David) geerbt haben, der bei einem unerklärlichen „Metallregen“ ums Leben kam. Die Arbeit auf der Ranch stellt sich für die Geschwister als hartes Geschäft heraus und trotz ihres Könnens stehen sie schon bald vor finanziellen Problemen. Die Lage ist ernst und die Geschwister denken darüber nach, die Ranch und damit auch das Erbe ihres Vaters an den nahe gelegenen Vergnügungspark Jupiter’s Claim zu verkaufen. OJ und Emerald beginnen auf ihrer riesigen Ranch unerklärliche Phänomene zu beobachten – unheimliche Geräusche, plötzliche Stromausfälle und mysteriöse Wetterphänomene. Als OJ ein UFO über der Farm ausmacht, wollen sie die Ereignisse mit der Kamera festhalten. Die Lage eskaliert, als die Geschwister die fachkundige Hilfe von Angel Torres (Brandon Perea), einem Angestellten des Elektronikgeschäfts Fry’s, und dem Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) in Anspruch nehmen. Dabei ahnen sie nicht, dass es sich bei dem unbekannten Flugobjekt nur um die Vorboten eines grauenerregenden Geheimnisses handelt…

Kurzrezension: Immer auf der Jagd nach dem ultimativen money shot: Jordan Peele gelingt mit seinem dritten Film ein bildgewaltiger Genremix über die durch den Plattformkapitalismus – nicht bloß zufällig verbirgt sich das Alien über geraume Zeit in einer „Cloud“ – auf die Spitze getriebene Aufmerksamkeitsökonomie, die weniger auf soziale Kommunikation und echtes Erkenntnisinteresse setzt, sondern primär das Bedürfnis nach Spektakel, Sensation und medialer Sichtbarkeit bedient. Eines der Erkenntnisse des Films ist, dass zum Spektakel die Zähmung gehört, der eine möglicherweise die Gefahr der Annäherung vorauszugehen hat –  eine Lehre, die sich auch auf die eine oder andere politische Debatte übertragen ließe. Die bombastischen Bilder werden durch hervorragende Schauspielleistungen unterstützt: Die kontrastierende Chemie zwischen dem energetischen Spiel von Keke Palmer und dem in sich ruhenden, nicht so leicht in Aufregung zu versetzenden Daniel Kaluuya („Nope.“) ist beeindruckend.

Don’t Worry Darling


Film-Genre: Thriller
Kino-Start: 22. September 2022
Regie: Olivia Wilde

Irgendwo in Amerika in den 1950er Jahren: Alice Chambers (Florence Pugh) lebt friedlich mit ihrem Mann Jack (Harry Styles), der für das streng geheime Victory-Projekt arbeitet, in einem hübschen Haus mitten in der Wüste. Sie führt ein beschauliches Leben, das hauptsächlich aus Putzen, Kochen und nächtlichen Partys mit den Nachbarn besteht. Die Idylle scheint perfekt, jegliche Bedürfnisse der Bewohner werden von dem CEO des Victory-Projekts Frank (Chris Pine) erfüllt. Dafür verlangt dieser im Gegenzug jedoch befingungsloses Engagement. Doch nach einiger Zeit hinterfragt Alice ihr bis dato perfektes Leben und entdeckt, dass sich hinter der attraktiven Fassade des Victory-Projekts etwas viel Unheimlicheres verbirgt. Ist sie wirklich bereit, ihr scheinbares Paradies hinter sich zu lassen, um herauszufinden, was es mit dem Projekt wirklich auf sich hat?

Kurzrezension: Olivia Wilde legt mir ihrer zweiten Regiearbeit einen anspielungsreichen, jedoch klassischen Thriller rund um pseudo-visionäre Coaching-Ideologie, hierarchische Geschlechterverhältnisse und übertriebenen Männlichkeitswahn vor, der sein Publikum trotz kleiner Schwächen mit starken Bildern und glaubwürdigen Darstellern fesselt. Schon die Einstiegsszene lässt angesichts der dargestellten architektonischen Perfektion ähnlich wie in der „Truman Showvermuten, dass hier etwas nicht stimmt. In den folgenden Szenen fühlt man sich als Zuschauer an Referenzen wie die „Matrix“-Filme der Wachowskis oder Miloš Formans „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnert. Doch anders als einige Kritiker vorab befürchteten, ist Wildes feministische Selbstermächtigung – auch dank der Schauspielleistung von Florence Pugh, die Verletzlichkeit, Verwirrung und wilde Entschlossenheit gelungen ausbalanciert – weder pädagogisch aufdringlich noch sonderlich provokativ.

Im Westen nichts Neues


Film-Genre: Kriegsfilm
Kino-Start: 28. Oktober 2022
Regie: Edward Berger

Frühjahr 1917, das dritte Kriegsjahr läuft: In einer Welle patriotischen Eifers schreiben sich die Jugendlichen Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Freunde Albert (Aaron Hilmer) und Müller (Moritz Klaus) als Freiwillige in die deutsche Armee ein. An der Front angekommen müssen sie jedoch feststellen, dass der Kampf um Deutschland keineswegs eine ehrenhafte Sache ist. Sobald die jungen Soldaten mit der brutalen Realität des Stellungskriegs konfrontiert werden, gehören Tod und Verlust zum Alltag. Pauls Vorurteile über den Feind sowie über Recht und Unrecht des Konflikts fallen bald wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Bis es zu einem Waffenstillstand kommt, muss Paul jedoch weiter kämpfen. Und gerade als es scheint, dass das Grauen ein Ende hat, trifft General Friedrichs (Devid Striesow) eine folgenschwere Entscheidung. Denn eine Niederlage Deutschlands kann er nicht akzeptieren…

Kurzrezension: Im richtigen Augenblick erscheint diese inszenatorisch starke und immersive Umsetzung des zeitlosen, weil radikal pazifistischen Romans von Erich Maria Remarque, erleben wir doch eine noch vor einigen Jahren unvorstellbare Militarisierung der deutschen Gesellschaft, getrieben von einem fragwürdigen Twitter-Moralismus, der Wiederbelebung alter Feindbilder und Heroismen sowie dem durablen Trugbild eines letzten, eines liberalen, eines gerechten Krieges. Denn diese propagandistischen Illusionen sollen lediglich das natürliche Wesen sämtlicher Kriege verschleiern: Die Vereinzelung des Individuums, seine traumatisierende Entmenschlichung, das barbarische, in der Konsequenz sinnlose Sterben an der Front und die resignierende Sprachlosigkeit der überlebenden Soldaten. Es sind teilweise drastische Szenen, mit denen Edward Berger das Grauen inszeniert, aber diese haben nie etwas Sensationslüsternes. Dazu trägt auch die kontrastierende Nebenerzählung rund um Matthias Erzberger und den Waffenstillstand von Compiègne bei, auf deren Schilderung Erich Maria Remarque im Roman verzichtet hatte.

The Menu


Film-Genre: Thriller | Horror
Kino-Start: 17. November 2022
Regie: Mark Mylod

Margot (Anya Taylor-Joy) und Tyler (Nicholas Hoult) haben sich als junges Pärchen ein ganz besonderes Urlaubsziel ausgesucht: Zusammen mit anderen handverlesenen Besuchern reisen sie auf die Insel Hawthorne. Dort betreibt der exzentrische Küchenchef Slowik (Ralph Fiennes) ein äußert exklusives Restaurant. Seine Mahlzeiten sind legendär, eine Einladung an seine Tafel äußerst begehrt. Slowiks experimental cuisine ist Kunst – und als Künstler will er sein Publikum herausfordern und die Grenzen des Konventionellen durchbrechen. Doch die Radikalität seiner kulinarischen Kreationen nimmt für seine Gäste alsbald schockierende und gefährliche Züge an…

Kurzrezension: Ein kulinarischer Albtraum: Der bitterböse Horrorthriller von Mark Mylod verhandelt auf radikale Weise die Bedeutung von und die Ansprüche an Kunst in einer oberflächlichen Mediengesellschaft. Zwar sind sämtliche Gäste des sinistren Chefkochs begeistert von dessen kulinarischer Raffinesse. Allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen: Kulinarik ist für sie lediglich exklusives Statussymbol, Stoff für selbstherrliche Kritiker, belangloses Prestigeobjekt, Mittel zur Selbstbestätigung oder leere Konsumhülle. Die originäre Liebe zum Essen oder gar der Respekt vor den verarbeitenden Lebensmitteln ist allen Gästen verlorengegangen. Allen, außer der von Anya Taylor-Joy verkörperten Escortdame, die zu dem dämonischen Meisterkoch eine ungeahnte geistige Verbindung aufbaut – streben beide als Dienstleister doch seit jeher nach dem Wohl ihrer Kundschaft, die jedoch selbiges anschließend sowieso wieder vergisst. Ein wendungsreiches Kammerspiel, das die Grenzen der eigenen Verführungskraft auslotet.


Honorable Mentions (weniger als letztes Jahr):

München – Im Angesicht des Krieges; Eine deutsche Partei; The Northman; Everything Everywhere All at Once; Die Täuschung; The Owners; The Good Nurse; Glass Onion: A Knives Out Mystery


Filme, die ich 2022 sonst noch gesehen habe:

The King’s Man – The Beginning; Nightmare Alley; Mafia Inc.; Der Tinder-Swindler; Tod auf dem Nil; Uncharted; Morbius; Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse; Fresh; Doctor Strange in the Multiverse of Madness; Top Gun: Maverick; Jurassic World – Ein neues Zeitalter; Elvis; Thor: Love and Thunder; The Gray Man; Samaritian; Skandal! Der Sturz von Wirecard; Smile – Siehst du es auch?; Batman and Superman: Battle of the Super Sons; Black Adam; Enola Holmes 2

Referenzen

Referenzen
1 SCHMITT, Wolfgang M., FLOP: Die schlechtesten Filme des Jahres 2022, 2022.
2 BENJAMIN, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Walter Benjamin – Gesammelte Schriften Band I, 1980, S. 471–508.
3 DATH, Dietmar, Wissen und Können in der gegenwärtigen Klassengesellschaft, Jacobin 11/2022, S. 49, 55.

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