Die Mutter aller Niederlagen. Eine weitere Analyse zur bayerischen Landtagswahl

Bei der bayerischen Landtagswahl erlebten die beiden (ehemaligen) Volksparteien ein Fiasko: Die CSU fuhr ein Minus von 10,5 Prozent ein, die SPD verlor sogar 10,9 Prozent im Vergleich zur letzten Wahl. Das Wort Analyse war folglich der wohl am häufigsten gebrauchte Begriff am gestrigen Abend: Die CSU will die Gründe für ihre historische Wahlniederlage analysieren, die SPD benötigt nicht nur in Bayern dringend eine tiefgehende Analyse ihrer strukturellen Schwäche. Auch die bayerische AfD hat letztlich nicht so stark abgeschnitten wie erwartet, hatte dafür aber sogleich selbst eine Analyse parat: Der Hauptgrund sei die konservative Konkurrenz in Form der Freien Wähler, die der AfD Stimmen gekostet hätte. Schön, wenn es so einfach wäre! Vielfach wurde der Ausgang der gestrigen Landtagswahl daher als politisches Erdbeben bezeichnet. Im Folgenden möchte ich das Ergebnis einmal selbst einordnen.

Ein Landtags-Wahlkampf zum Abgewöhnen

Die Positionen im Wahlkampf polarisierten – absurde Faschismusvergleiche auf der einen, Anbiederung an rechtspopulistische Sprache auf der anderen Seite, es war ein Wahlkampf, der keine großen sachlichen Themen hatte, sondern dessen Brisanz sich primär an der Konfliktlinie Autoritär – Liberal entzündete: Die CSU versuchte konservative Wähler zurückzugewinnen, indem sie ihre Beziehungen zu antiliberalen Politikern wie Victor Orbán und Sebastian Kurz stärkte, die bayerischen Grünen als Gegenpol positionierten sich beispielsweise in den Protesten um das strittige Polizeiaufgabengesetz als liberale Opposition.

Der Wandel der CSU lässt sich an der Person Horst Seehofer festmachen: Wurde der jetzige Bundesminister des Inneren 2003 noch wahlweise als das soziale Gewissen der CSU bezeichnet oder als Herz-Jesu-Sozialist verspottet, war er nun einer der zentralen Akteure einer Partei, die ihre Deutungshoheit im konservativen Spektrum in Gefahr sieht. Die CSU ließ sich in der Flüchtlings- und Migrationspolitik wiederholt vom Framing der AfD vorführen und scheiterte schließlich am Spagat zwischen liberalen Merkel-Unterstützern und konservativer Profilbildung. Hinzu kommt ein im Vergleich unbeliebter Ministerpräsident Markus Söder, der mit seinem autoritären Politikstil kein Gefühl für sensible Stimmungen in der Bevölkerung beweis. Beispielhaft sei hier nur nochmals der Umgang mit dem Polizeiaufgabengesetz oder der heftig umstrittene Kreuz-Erlass genannt. Der dramatische Höhepunkt war schließlich der von der CSU unnötigerweise initiierte Streit über Nichtigkeiten, der zur Regierungskrise und einem Beinah-Bruch der Berliner Koalition aus Union und SPD führte. Das für CSU-Verhältnisse schwache Ergebnis führte leider dazu, dass verdiente und vergleichsweise liberale Politiker*innen wie Barbara Stamm – als Landtagspräsidentin immerhin protokollarisch die ranghöchste und zugleich beliebteste Politikerin des Freistaats – den Einzug mangels aussichtsreichem Listenplatz nicht schafften. Nun darf sich die CSU nicht nur einen neuen Landtagspräsidenten suchen, sondern ist zugleich auch auf einen Koalitionspartner angewiesen.

Die potenziellen Koalitionspartner der CSU: Die Grünen, Freie Wähler und SPD

Als die Gewinner des Abends gelten allerorts die Grünen. Ihnen gelang es – das ist auch das Verdienst der beiden dynamischen Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann – sowohl ein junges, urbanes Publikum anzusprechen, als auch bürgerliche Wähler zu mobilisieren, die dem Rechtskurs der CSU kritisch gegenüberstehen. Das berauschende Umfragehoch übertüncht jedoch den schwelenden Richtungsstreit innerhalb der Partei, der im Laufe der letzten Legislatur zum Parteiaustritt der einstigen grünen Frontfrau Claudia Stamm geführt hat. Selbstverständlich besitzen Politiker*innen generell einen Gestaltungswillen, doch die Grünen müssen aufpassen, dass sie ihre linken Wurzeln in möglichen Koalitionsgesprächen mit der CSU nicht vollends vergessen. Durch die Schwäche der bayerischen SPD sind die Grünen daher auch insbesondere beim Thema Soziale Gerechtigkeit gefordert.

Der nach dem gestrigen Abend natürliche Koalitionspartner für die CSU sind meines Erachtens die Freien Wähler. Die konservative Partei, deren  Parteivorsitzender Hubert Aiwanger einen angenehm unaufgeregten Eindruck machte, ist Fleisch vom Fleisch der CSU. Vielfach überzeugte die Partei ihre Wähler wohl auch mit einer sachlich-kritischen Position in der Migrations- und Flüchtlingspolitik, so dass die Konkurrenz-These der AfD auf den ersten Blick stimmig erscheint. Dennoch sind vom politischen Personal der Freien Wähler keine derart populistischen, bisweilen rechtsextremen Töne zu hören, so dass dieser Vergleich letztlich reichlich absurd ist.

Als Koalitionspartner scheidet sie wohl aus: Die SPD hat ihr Wahlergebnis von 2013 geradezu halbiert und steckt seit Jahren in einer nachhaltigen strukturellen Krise, die bei der bayerischen Landtagswahl ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte. Seit der neoliberalen Wende unter Gerhard Schröder leidet sie an einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem, zu weiterer Verunsicherung führt das Mäandern in einigen Sachfragen wie etwa der Causa Maaßen oder der Regierungsbeteiligung im Bund. Die SPD hat ihren Markenkern verloren, eine klare Linie ist einfach nicht erkennbar – der Wähler nimmt ihr einfach nicht mehr ab, dass die Partei für den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit eintritt. Dabei spielt die soziale Frage auch und gerade in Bayern eine zentrale Rolle. Zynische Stimmen behaupten daher, zum eigentlichen Markenkern der SPD zählten mittlerweile auch die neoliberalen Reformen der Jahrtausendwende. Zwar finden sich im Programm der bayerischen SPD gute Ansätze, wie etwa Konzepte für einen kostenlosen ÖPNV oder Maßnahmen für einen verstärkten sozialen Wohnungsbau – alles Themen, die das Leben vieler Menschen in Bayern tatsächlich positiv verändern würden. Doch bei der SPD überlagert die Strukturkrise der Bundespartei alles. Tragisch ist es daher, dass viele der Abgeordneten, die als Opposition im bayerischen Landtag maßgeblich bei den Protesten gegen die dritte Startbahn des Münchner Flughafens, bei den Protesten gegen die Studiengebühren oder den zahlreichen Skandalen der CSU (Stichwort: Bayerische Landesbank) erfolgreich als Korrektiv wirkten, den Sprung in den Landtag verpassten.

Die Sitzverteilung in der Legislatur 2018-2023
Die Sitzverteilung im Bayerischen Landtag in der Legislatur 2018-2023 | © tagesschau.

Neu im Landtag: FDP und AfD

Auch die AfD blieb unter den Erwartungen, dennoch sind 10,2 Prozent der Stimmen immer noch zu viel für die Partei, die den Rechtspopulismus in Deutschland salonfähig gemacht hat. Der Konflikt zwischen Nationalliberalen/Rechtspopulisten und Rechtsextremen findet sich auch im bayerischen Landesverband wieder und führte dazu, dass sich die Partei im Vorfeld nicht auf einen gemeinsamen Spitzenkandidaten einigen konnte. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Partei – auch vor dem neuerlichen Höhenflug in den Umfragen auf Bundesebene – in Zukunft positioniert. Gerade auch, wenn Björn Höcke im nächsten Jahr versucht, mit einem national-sozialistischen Programm Ministerpräsident im Freistaat Thüringen zu werden. Einfach ätzend! Wie selbstverständlich propagiert die AfD häufig für sich das Etikett Volkspartei. Dies beschreibt aber nicht etwa eine gewisse Prozentzahl (beispielsweise ab 20 Prozent), sondern die Fähigkeit einer Partei grundsätzlich für Wähler und Mitglieder aller gesellschaftlichen Schichten und unterschiedlichen Weltanschauungen offen zu sein. Dies ist die AfD mit Sicherheit nicht.

Die FDP hat es traditionell schwer in Bayern, hat den Wiedereinzug in den bayerischen Landtag nach der schweren Niederlage 2013 jedoch knapp geschafft. Dabei schadete ihr auch das erratische Verhalten ihres Bundesvorsitzenden Christian Lindner („Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren.“) nicht groß. Spannend wird sein, wie sich die bayerische FDP in der kommenden Legislatur verhält, um nicht im bürgerlichen Lager zwischen CSU, Freien Wählern und AfD zerrieben zu werden.

Die Auswirkungen auf Landes- und Bundespolitik

Bei genauerer Betrachtung findet sich jedoch auch viel Essig im Wein der allgemeinen Euphorie: Zwar wurde die Alleinherrschaft der CSU in Bayern mit der gestrigen Landtagswahl beendet, was allein schon aus demokratietheoretischer Sicht zu begrüßen ist. Doch die Mehrheitsverhältnisse der beiden großen Lager – bürgerlich und progressiv – haben sich in Bayern nicht großartig verändert. SPD und Bündnis 90/Die Grünen kamen 2013 zusammen auf 29,2 Prozent, das bürgerliche Lager aus CSU und Freien Wählern verfügte über eine satte Mehrheit von 56,7 Prozent. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 2018 kommt das progressive Lager auf 27,2 Prozent, CSU, FDP, Freie Wähler und AfD zusammen auf 64,1 Prozent. Die Grünen und die SPD haben folglich im linken Lager einfach nur die Plätze getauscht. Und mit der AfD sitzt jetzt im Landtag eine Partei, die in Teilen eindeutig rechtsextrem ist. Ein wirklicher Politikwechsel sieht wahrlich anders aus.

Welche Auswirkungen hat nun das Ergebnis der bayerischen Landtagswahl auf die Bundespolitik? Insbesondere die SPD muss sich nun endlich eindringlich fragen, ob sie nicht doch aus der Berliner Regierungskoalition ausscheidet und sich in der Opposition erneuert. Folgerichtig hat auch Natascha Kohnen, Mitglied im Parteivorstand der SPD, gefordert, dass nun „alle und alles auf den Prüfstand müsse.“ Dies ist insoweit richtig, weil es eine stärkere SPD braucht, um die Möglichkeit einer politischen Mehrheit jenseits der Union wiederherzustellen. Aber auch in der Union wird die Nibelungentreue zu Bundeskanzlerin Angela Merkel bröckeln – ein erstes Indiz dafür war die Niederlage von Volker Kauder bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden. Der nächste Stichtag, abgesehen von der Landtagswahl in Hessen, wird der Bundesparteitag der CDU am 7. und 8. Dezember in Hamburg sein. Dort kandidiert Angela Merkel erneut für den Parteivorsitz, innerhalb der CDU ist das Amt des Bundeskanzlers eng mit dem Parteivorsitz verbunden. Bisher haben sich drei Mitbewerber gemeldet, fraglich ist allerdings, ob sich Schwergewichte wie Jens Spahn, Norbert Röttgen oder gar Friedrich Merz aus der Deckung wagen. Dies hängt wohl auch vom Ausgang der Hessenwahl in zwei Wochen ab. Dass die Berliner Koalition das Ende der Legislaturperiode überlebt, ist durch das Ergebnis der Bayernwahl jedoch ein Stück weit unwahrscheinlicher geworden.

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2 Kommentare

  1. Sie bieten weitesgehend eine -wenngleich auch nicht wertungsfreie konnotierte- Einordnung des Geschehens zur Landtagswahl in Bayern.

    Bis auf vereinzelte anders vertretbare Thesen ist die Prognose stimmig und folgerichtig.

    Meines Erachtens fehlt jedoch ein ganz zentrales Element in der Analyse zur Ausgangssituation: Den aktuellen Trend der Politik hinsichtlich der immer stärkeren Dominanz einzelner Interessen.
    Die großen Parteien (etwa CSU oder auch SPD) sind faktisch nicht mehr in der Lage dominierende Interessen hinsichtlich der Themen in der entsprechenden Intensität zu vertreten, ohne Gefahr zu laufen in Interessenskonflikte und damit einhergehende Wählerenttäuschungen zu geraten. Abgesehn von allgemeingültigen Omnibusthemen, wie dem Pflegenotstand, Mietpreisen uvw. ist dies auch auf andere, weniger konsenzfreudige Themen übertragbar.
    Ein allgemeiner und übergeordneter Trend, dem höchstens kurzfristig mit einem mehr charismatischen Ministerpräsidenten oder Vorsitzenden hätte entgegengewirkt werden können. Langfristig jedoch wird sich auch eine „rechtsblinkende und linksfahrende“ CSU diesem Trend beugen, da entsprechende Wählerinteressen schlichtweg nicht bedient werden können. Dieser Trend ist gar derart stark, dass er im internationalem Raum zu beobachten ist.
    Diesen Trend -oder ökonomisch gesprochen: Marktlücke für Wählerinteressen- hat die AfD wohlwollend genutzt. Denn nicht jeder der gegen eine offene Flüchtlingspolitk steht, ist automatisch Nazi. Sicherheitsbedenken an unkontrollierter Einwanderung sind durchaus berechtig.
    Wohlwissen eine These die Sie meines Wissens nicht vertreten, aber hinreichend oft medial kundgegeben wurde, stellt dies nur logischerweise die Abkehr der Wähler von den „big playern“ und die Zuwendung zu anderen „geeigneteren“ (inwiefern dies Stimmt sei an dieser Stelle dahingestellt) Parteien.

    Eventuell könnten Sie sich in gewohnter Manier zum aktuellen Polittrend äußern!

    Kira L.

    1. Vielen Dank für Ihre Anmerkungen.

      Grundsätzlich gebe ich Ihnen Recht: Ein großer Teil des Erfolgs der AfD bei der bayerischen Landtagswahl beruht sicherlich darauf, dass die CSU ihre harte Linie in der Migrations- und Flüchtlingspolitik auf Bundesebene nicht durchsetzen kann. Dies liegt zum einen an der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, zum anderen natürlich auch am Widerstand der SPD in der Berliner Koalition. Aus Sicht der Befürworter einer restriktiveren Migrationspolitik ist es daher nicht zielführend, CSU zu wählen.

      Darüberhinaus teile ich Ihre Prämisse bezüglich der angeblich unkontrollierten Einwanderung nicht.

      1

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