Die Erhaltungssatzung als kommunales Instrument gegen Gentrifizierung

„Das Resultat ist, daß die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt, daß Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind.“1ENGELS, Friedrich, Zur Wohnungsfrage, Moskau 1940, S. 15.

Schon im Jahr 1887 beschrieb Friedrich Engels ein sozioökonomisches Phänomen, das in der heutigen Zeit wohl ohne weiteres als gentrification, als Gentrifizierung, bezeichnet werden würde. Die Begriffe Gentrifizierung und das im Deutschen synonym verwandte Gentrifikation – sie finden ihren etymologischen Ursprung im englischen Begriff „gentry“ für „niederer Adel“ – wurden insbesondere von der britischen Soziologin Ruth Glass geprägt, die damit den Zuzug britischer Mittelschichtfamilien in das Londoner Arbeiterviertel Islington in den 1960er Jahren beschrieb.2GLASS, Ruth, London: Aspects of Change, London 1964, S. 7. Diese Mittelklasse-Haushalte nahmen sich der heruntergekommen Londoner Stadthäuser im viktorianischen Baustil des 19. Jahrhunderts an und verwandelten diese von „shabby, modest mews and cottages“ in „elegant, expensive residences“.3Ebd. S. 18 f. Um die Sanierungskosten zu decken, wurde der Mietzins erhöht. Dies brachte zahlreiche angestammte Arbeiterfamilien in finanzielle Schwierigkeiten und zwang sie dazu, in die urbanen Randgebiete zu ziehen. Glass verglich diese Entwicklung mit Vorgängen des frühen 18. Jahrhunderts, als Teile des niederen Adels vom Rand der Städte zurück in die Zentren zogen.

Zum Begriff der Gentrifizierung

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Mittlerweile wird Gentrifizierung nicht nur als terminus technicus in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet,4Zum Stand der Gentrifikations-Forschung in Deutschland ECKARDT, Frank, Gentrifizierung, Forschung und Politik zu städtischen Verdrängungsprozessen, Wiesbaden 2018, S. 19 ff.; für einen Überblick über Ursachen, Entwicklungsphasen und Erklärungsansätzen mit Fallbeispielen FRANKE, Thomas et al., Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung. Praxiserfahrungen aus acht Kommunen, Berlin 2017, S. 11 ff. darunter der Raum- und Stadtplanung, der Geographie und der Stadtsoziologie, sondern hat zugleich Eingang in die Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen gefunden.5Vgl. nur DRAXEL, Ellen; HOBEN, Anna, Die Gentrifizierung findet immer einen Weg. Wohnungspolitik, Die Süddeutsche Zeitung vom 17. Januar 2019; SCHULZE, Rainer, Die sieben Zwerge müssen ausziehen. Gentrifizierung, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Februar 2018; TWICKEL, Christoph, Ist hier noch Platz für Wohnungen? Gentrifizierung, DIE ZEIT vom 21. Februar 2019. Mit seiner zunehmenden Verbreitung ging allerdings keine definitorische Vereinheitlichung des Gentrifizierungsbegriffs einher. So wird vereinzelt kritisiert, insbesondere im öffentlichen Diskurs würde Gentrifizierung mittlerweile als „inflationäre Universalmetapher“6HOLM, Andrej, Ein ökosoziales Paradoxon. Stadtumbau und Gentrifizierung, politische ökologie 2011, S. 45-51. für bauliche Veränderungen im jeweiligen Stadtviertel verwendet und mithin dem sozialen Ausgleich dieser Entwicklung nicht gerecht.

In der klassischen Definition bezeichnet Gentrifizierung die bauliche Aufwertung von meist innenstadtnahen Wohngebieten.7BLASIUS, Jörg, 20 Jahre Gentrification-Forschung in Deutschland, Informationen zur Raumentwicklung 11/12 2008, S. 857 ff.; BLASIUS, Jörg; DANGSCHAT, Jens S., Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel – Grundlagen und Folgen, in: dies. (Hrsg.), Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel, Frankfurt 1990, S. 11 ff.; DANGSCHAT, Jens S., Gentrification: Der Wandel innenstadtnaher Wohnviertel, in: NEIDHARD, Friedhelm et al. (Hrsg.), Soziologische Stadtforschung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1988, S. 272 ff. Diese ist häufig mit dem Wechsel einer alteingesessenen, statusniedrigeren zu einer statushöheren, oftmals finanzkräftigen Bevölkerungsstruktur verbunden.8FRIEDRICHS, Jürgen, Gentrification: Forschungsstand und methodologische Probleme, in: FRIEDRICHS, Jürgen; KECSKES, Robert (Hrsg.), Gentrification: Theorie und Forschungsergebnisse, Opladen 1996, S. 14. Umso virulenter stellt sich dieser Verdrängungsprozess dar, da er durch den seit Jahrzehnten betriebenen staatlichen Rückzug aus dem öffentlichen Wohnungsbau und der Deregulierung des Wohnungsmarktes auf eine Situation trifft, in der es für einkommensschwache Haushalte und selbst für Teile der Mittelschicht zunehmend schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum in den Großstädten und prosperierenden Metropolregionen zu finden.9METZGER, Joscha; SCHIPPER, Sebastian, Postneoliberale Strategien für bezahlbaren Wohnraum? Aktuelle wohnungspolitische Ansätze in Frankfurt am Main und Hamburg, in: SCHÖNIG, Barbara et al., Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur, Bielefeld 2017, S. 181.

Gang der Untersuchung

Um der Verdrängung der ansässigen Bevölkerung entgegenzuwirken, steht der Kommune als planverwirklichendes Instrument insbesondere die kommunale Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. I S. 1 Nr. 2 BauGB zur Verfügung.10BANK, in: BRÜGELMANN, Hermann, Baugesetzbuch. Kommentar V: §§ 139-249 BauGB. 80. Ergänzungslieferung, Stuttgart 2011. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundlage sind Städte und Gemeinde befugt, durch Aufstellung von Satzungen Gebiete festzulegen, in denen u.a. Änderungen der baulichen Substanz eingeschränkt werden können. Im Zuge der vielfach propagierten Rückkehr der Wohnungsfrage11Vgl. VOGELPOHL, Anne et al., Die Repolitisierung des Wohnens. Städtische Soziale Bewegungen für ein Recht auf Wohnen und auf Stadt in Hamburg, Berlin, Jena und Leipzig, in: SCHÖNIG, Barbara et al., Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur, Bielefeld 2017, S. 1 f. stellt sich jedoch die Frage, ob diese Erhaltungssatzungen ein ausreichendes planerisches Mittel im Kampf gegen Gentrifizierung darstellen. Welches konkrete Instrumentarium gibt der Gesetzgeber den Kommunen mit den §§ 172 ff. BauGB an die Hand? Wo liegen dessen Grenzen? Sind diese Maßnahmen mit höherrangigem Recht vereinbar? Wie wirksam sind Erhaltungssatzungen in der kommunalen Praxis? Mit den hier geäußerten Fragestellungen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.

Im Anschluss an diese Ausführungen werden in Kapitel B im Rahmen einer strukturellen Analyse die tatbestandlichen Voraussetzungen sowie die Rechtsfolgen der sozialen Erhaltungssatzung gem. § 172 Abs. I S. 1 Nr. 2 – im Folgenden auch als Milieuschutzsatzung bezeichnet – erläutert. Dabei rekurrieren die Ausführungen auf die Rechtsanwendung der Landeshauptstadt München, die als eine der wenigen Großstädte in Deutschland nunmehr seit 1987, also seit über 30 Jahren,12REFERAT FÜR STADTPLANUNG UND BAUORDNUNG DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN, Erhaltungssatzungen in München. 30 Jahre Milieuschutz (1987-2017), München 2017, S. 7. kontinuierlich Erfahrungen mit dem Erlass und Vollzug von sozialen Erhaltungssatzungen sammelt. Nachfolgend widmet sich Kapitel C der formellen und insbesondere der materiellen Vereinbarkeit des städtebaulichen Erhaltungsrechts mit höherrangigem Recht. Die Schlussbetrachtung in Kapitel D greift schließlich die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit auf und stellt diese in einen größeren Zusammenhang.

Referenzen

Referenzen
1 ENGELS, Friedrich, Zur Wohnungsfrage, Moskau 1940, S. 15.
2 GLASS, Ruth, London: Aspects of Change, London 1964, S. 7.
3 Ebd. S. 18 f.
4 Zum Stand der Gentrifikations-Forschung in Deutschland ECKARDT, Frank, Gentrifizierung, Forschung und Politik zu städtischen Verdrängungsprozessen, Wiesbaden 2018, S. 19 ff.; für einen Überblick über Ursachen, Entwicklungsphasen und Erklärungsansätzen mit Fallbeispielen FRANKE, Thomas et al., Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung. Praxiserfahrungen aus acht Kommunen, Berlin 2017, S. 11 ff.
5 Vgl. nur DRAXEL, Ellen; HOBEN, Anna, Die Gentrifizierung findet immer einen Weg. Wohnungspolitik, Die Süddeutsche Zeitung vom 17. Januar 2019; SCHULZE, Rainer, Die sieben Zwerge müssen ausziehen. Gentrifizierung, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Februar 2018; TWICKEL, Christoph, Ist hier noch Platz für Wohnungen? Gentrifizierung, DIE ZEIT vom 21. Februar 2019.
6 HOLM, Andrej, Ein ökosoziales Paradoxon. Stadtumbau und Gentrifizierung, politische ökologie 2011, S. 45-51.
7 BLASIUS, Jörg, 20 Jahre Gentrification-Forschung in Deutschland, Informationen zur Raumentwicklung 11/12 2008, S. 857 ff.; BLASIUS, Jörg; DANGSCHAT, Jens S., Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel – Grundlagen und Folgen, in: dies. (Hrsg.), Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel, Frankfurt 1990, S. 11 ff.; DANGSCHAT, Jens S., Gentrification: Der Wandel innenstadtnaher Wohnviertel, in: NEIDHARD, Friedhelm et al. (Hrsg.), Soziologische Stadtforschung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1988, S. 272 ff.
8 FRIEDRICHS, Jürgen, Gentrification: Forschungsstand und methodologische Probleme, in: FRIEDRICHS, Jürgen; KECSKES, Robert (Hrsg.), Gentrification: Theorie und Forschungsergebnisse, Opladen 1996, S. 14.
9 METZGER, Joscha; SCHIPPER, Sebastian, Postneoliberale Strategien für bezahlbaren Wohnraum? Aktuelle wohnungspolitische Ansätze in Frankfurt am Main und Hamburg, in: SCHÖNIG, Barbara et al., Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur, Bielefeld 2017, S. 181.
10 BANK, in: BRÜGELMANN, Hermann, Baugesetzbuch. Kommentar V: §§ 139-249 BauGB. 80. Ergänzungslieferung, Stuttgart 2011.
11 Vgl. VOGELPOHL, Anne et al., Die Repolitisierung des Wohnens. Städtische Soziale Bewegungen für ein Recht auf Wohnen und auf Stadt in Hamburg, Berlin, Jena und Leipzig, in: SCHÖNIG, Barbara et al., Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur, Bielefeld 2017, S. 1 f.
12 REFERAT FÜR STADTPLANUNG UND BAUORDNUNG DER LANDESHAUPTSTADT MÜNCHEN, Erhaltungssatzungen in München. 30 Jahre Milieuschutz (1987-2017), München 2017, S. 7.