Jenseits des Banalen: Meine Filme des Jahres 2024

2024 ist ein enttäuschendes Jahr für das Kino: Die Postmoderne prägt eine Filmkultur, die sich in leeren Zitaten, monotonen Wiederholungen und witzlosen Selbstreferenzen verliert. Selbst ambitionierte Projekte wie Francis Ford Coppolas Megalopolis, das der Regisseur größtenteils selbst finanzierte, können diesem Trend nicht entkommen. Anstelle eines visionären Werkes präsentierte Coppola einen visuell sterilen und erzählerisch banalen Film – wohl als Shakespeare-Reminiszenz gedacht, jedoch mit ernüchterndem Resultat. Ähnlich uninspiriert zeigt sich Ridley Scotts Gladiator II: Obwohl visuell beeindruckend, bleibt der Film sogar bis in die Arenakämpfe hinein ein lebloses Reenactment seines Vorgängers. Auch Produktionen, die von Anfang an als sichere Blockbuster konzipiert waren, wie Joker: Folie à Deux von Todd Phillips, spiegeln die Leere und Vorhersehbarkeit des Mainstream-Kinos. Gemein ist diesen drei Filmen ein erzählerisch belangloser Plot, der kaum voranschreitet – selbst erstklassige Darsteller wie Adam Driver, Paul Mescal und Joaquin Phoenix vermögen daran nichts zu ändern.

Darüber hinaus wird die Leinwand weiterhin von seelenlosen Fortsetzungen (Planet der Affen: New Kingdom, Bad Boys: Ride or Die, Beverly Hills Cop: Axel F) und Franchise-Filmen (Madame Web, Deadpool & Wolverine, Venom: The Last Dance) überflutet, die einzig darauf abzielen, durch bewährte Muster einen sicheren Erfolg an der Kinokasse zu garantieren. Dennoch sanken die Ticketverkäufe in Deutschland im Jahr 2024 auf nur 90 Millionen – der niedrigste Stand seit 30 Jahren und ein Rückgang um fast 30 Prozent im Vergleich zu den 120 Millionen Tickets von 2019. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind auch in München spürbar: Das traditionsreiche Filmtheater am Sendlinger Tor, vor 110 Jahren von Kinopionier Carl Gabriel gegründet, schließt zum 15. Januar 2025. Als Ursachen für das Kinosterben werden gestiegene Preise, veränderte Mediengewohnheiten und die Nachwirkungen des Hollywood-Streiks genannt. Doch auch die fortschreitende kapitalistische Verwertung des Films dürfte ihren Anteil daran haben: Es scheint einzig darum zu gehen, die jeweilige Marke am Leben zu erhalten und die vermeintlichen Erwartungen eines konsumorientierten Publikums zu erfüllen. Filme verkommen zur bloßen Ware, während der Zuschauer zum unkritischen Konsumenten degradiert wird, dessen Begeisterung allein durch Nostalgie und aufwändige CGI-Effekte geweckt werden soll. Das Kino wandelt sich dadurch in einen Marktplatz des Unspektakulären, dessen reaktionäre Ausrichtung kaum mehr Raum für Neues lässt.

Doch trotz dieser allgegenwärtigen Konformität gab es auch 2024 Werke, die sich diesem Sog widersetzten – Filme, die den Mut bewiesen, die Grenzen des Erzählens neu auszuloten, und eindrucksvoll zeigten, dass die Kunst des Kinos noch immer lebendig ist. Zwölf dieser Werke, die den Status quo infrage stellten, stehen im Mittelpunkt dieses Rückblicks.

Im letzten Sommer


Film-Genre: Drama
Kino-Start:  11. Januar 2024
Regie: Catherine Breillat

Anne (Léa Drucker) ist eine brilliante Anwältin, die sich um minderjährige Missbrauchsopfer und Jugendliche in Schwierigkeiten kümmert. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Pierre (Olivier Rabourdin) und den beiden adoptierten Töchtern führt sie ein harmonisches Familienleben in einer Villa am Pariser Stadtrand. Doch als Théo (Samuel Kircher), Pierres 17-jähriger Sohn aus einer früheren Ehe, bei ihnen einzieht, gerät das Idyll schnell ins Wanken. Denn Anne fühlt sich zu dem rebellischen Teenager angezogen – obwohl sie weiß, dass das nicht sein darf. Schon nach kurzer Zeit entspinnt sich eine leidenschaftliche Affäre, die nicht nur ihre Familie, sondern auch ihre Karriere fundamental gefährdet…

Kurzrezension: „Im letzten Sommer“ ist eine intensive Analyse von Macht, Begehren und gesellschaftlichen Zwängen. Mit unerbittlicher Präzision dekonstruiert Catherine Breillat die Fassade bourgeoiser Werte und entlarvt die brüchige Moral einer bigotten Gesellschaft, die Freiheit predigt, aber letztlich doch nur Konformität einfordert: Kompromisslos folgt die Rechtsanwältin Anne ihrer Leidenschaft, nur um später ebenso unbeirrbar wie entschlossen ihre bürgerliche Existenz zu bewahren. Breillat inszeniert mit kühler Strenge und lenkt den Blick unbarmherzig auf das Wesentliche. Ihre Hauptfigur lässt sich dabei gleichermaßen bewundern wie verurteilen – eine faszinierende Gratwanderung. Sehenswert!

Des Teufels Bad


Film-Genre: Horror | Drama
Kino-Start:  20. Februar 2024
Regie: Severin Fiala & Veronika Franz

Im Oberösterreich des 18. Jahrhundert lebt die junge, verheiratete Agnes (Anja Plaschg) in einer von Isolation und strengem Katholizismus geprägten Welt. Ihre Ehe mit ihrem Mann Wolf (David Scheid), der keinen Platz für sie in seinem Leben hat, lässt sie zunehmend in Einsamkeit verfallen. Für ihre Schwiegermutter (Maria Hofstätter), die Agnes in ihrer Rolle als Hausfrau nicht akzeptiert, ist sie eine Enttäuschung, die weder in der Familie noch in der Gesellschaft ihren Platz zu finden scheint. Für Agnes, die in ihrer eigenen Verzweiflung gefangen ist, scheint der Mord an einem Kind der einzige Ausweg aus ihrem unerträglichen Leben zu sein. Denn während ein Kindsmord lediglich mit dem Tode bestraft wird, folgt auf Selbstmord im katholischen Glauben die ewige Verdammnis…

Kurzrezension: Selten fühlt sich Kino so beklemmend an wie in „Des Teufels Bad“ des Regie-Duos Severin Fiala und Veronika Franz. Hinter dem Titel – ein Verweis auf die Melancholie als „Bad des Teufels“ – verbirgt sich eine düstere Charakterstudie, die sich langsam wie eine nicht heilende Wunde offenbart. Doch der Film betreibt keine Effekthascherei, ist kein klassischer Horror: „Des Teufels Bad“ verzichtet auf Schockmomente, arbeitet vielmehr mit einer ruhigen, beinahe dokumentarischen Nüchternheit. Die wahre Bedrohung liegt in einer Ideologie, deren Strenge keinen Ausweg zulässt, und wie ein unsichtbares Netz jede individuelle Freiheit erstickt. Dieses langsame, kriechende Unbehagen ist erschreckender als jede Fiktion – und zugleich unfassbar real. Ein Film, der sich nicht konsumieren lässt, sondern in die Knochen fährt.

 The Zone of Interest


Film-Genre: Drama
Kino-Start:  29. Februar 2024
Regie: Jonathan Glazer

Hedwig Höß (Sandra Hüller) empfängt ihre Mutter in der stuckverzierten Villa, die sie mit ihrem Mann Rudolf (Christian Friedel) und den gemeinsamen Kindern bewohnt. Alles scheint harmonisch: Die Sonne scheint auf den sorgfältig gepflegten Garten, in dem Blumen blühen, Kräuter gedeihen und die Kinder ausgelassen im Wasser spielen. Der Hund streift friedlich durch das Grün, und die übermannshohen Sonnenblumen rahmen die Szene ein. Doch die Villa liegt direkt am Rand des Vernichtungslagers Auschwitz. Jenseits der Mauern entfaltet sich das Grauen, während Rudolf Höß, SS-Obersturmbannführer und Lagerkommandant, unbeeindruckt von den Schrecken seiner Taten, ein scheinbar normales Familienleben führt…

Kurzrezension: „Die traurige Wahrheit ist, dass das Schlimmste von den Menschen begangen wird, die sich niemals dazu entscheiden, gut oder böse zu sein.“ Unmissverständlich zeigt „The Zone of Interest“ wie sich Normalität im Schrecken einrichtet. Der Titel, entlehnt dem von den Nationalsozialisten geprägten Begriff „Interessengebiet“ für das Gebiet um das KZ Auschwitz, verweist auf die verstörende Nähe zwischen der Vernichtung menschlicher Existenz und der Normalität des täglichen Lebens. Doch statt das Grauen direkt zu inszenieren – der Zuschauer nimmt dieses lediglich als Geräusche war: Schüsse, Schreie und dumpfe Echos aus dem Vernichtungslager –, richtet Jonathan Glazer seinen Blick auf das Alltagsleben einer Familie, die ihre Scheinidylle trotzig aufrechterhält – unbeteiligt gegenüber dem Unfassbaren neben der Mauer. Es ist dieser kühle, distanzierte Blick des Films, der das Unbehagen unerbittlich steigert. Der Horror ist nicht explizit, sondern steckt in der stillen Akzeptanz, in der Banalität des Bösen. „The Zone of Interest“ ist nicht nur Illustration, sondern stille Anklage – gegen die Fähigkeit des Menschen, sich an alles zu gewöhnen, und die totalitäre Gefahr, die darin liegt…

Dune: Part Two


Film-Genre: Science Fiction
Kino-Start:  29. Februar 2024
Regie: Denis Villeneuve

Paul Atreides (Timothée Chalamet) setzt mithilfe von Chani (Zendaya) und den Fremen seinen erbitterten Kampf gegen die Mächte fort, die seine Familie zerstört und das Universum ins Chaos gestürzt haben. Auf Arrakis, dem Wüstenplaneten, schärft er nicht nur seine Fähigkeiten als Anführer, sondern entwickelt sich auch zunehmend zu einem mystischen Propheten, den die Fremen als ihren Erlöser sehen. Während Paul den Widerstand organisiert und Bündnisse schmiedet, wird ihm bewusst, dass sein Weg mit immensen Opfern verbunden sein wird. Dunkle Visionen einer Zukunft voller Tod und Zerstörung treiben ihn an. Der Druck wächst, bis Paul vor einer folgenschweren Wahl steht: Wird er sich der Liebe zu Chani hingeben oder sein persönliches Glück opfern, um seine Rolle als Retter des Universums zu erfüllen?

Kurzrezension: „Dune: Part Two“ führt seine Zuschauer erneut in die staubige Wüste von Arrakis – doch dieses Mal wird der Wüstensand zur Reflexionsfläche für die unbarmherzigen Mechanismen von Macht und Kolonialismus. Was im ersten Teil als hoffnungsvoller Aufbruch begann, wird nun zum erschütternden Coming-of-Age eines Mannes, der vom idealistischen Erben zum machtbewussten Herrscher wird. Der Freiheitskampf der Fremen dient Villeneuve als Allegorie auf die globalen Konflikte unserer Zeit – von den unaufhörlichen Kriegen im Nahen Osten bis zu den imperialen Auseinandersetzungen in der Ukraine. Pauls Aufstieg und Fall veranschaulichen nicht nur die zerstörerische Gewalt des Kolonialismus, sondern auch die zermürbende Entfremdung, die mit dem Streben nach absoluter Kontrolle einhergeht. „Dune: Part Two“ ist ein audiovisuelles Meisterwerk, das in den verworrenen Strukturen unserer Welt widerhallt und daher zu den brillantesten Science Fiction-Filmen der letzten Jahre zählt.

Civil War


Film-Genre: Anti-Kriegsfilm
Kino-Start:  18. April 2024
Regie: Alex Garland

In einer dystopischen, aber doch nahen Zukunft tobt in den USA ein Bürgerkrieg, der das Land in zwei Lager spaltet. Während im Weißen Haus der US-Präsident (Nick Offerman) seine dritte Amtszeit angetreten hat, lehnen sich im Westen des Landes Texas, Kalifornien und 17 weitere Bundesstaaten gegen die Regierung auf. Obwohl diese, ohne Rücksicht auf Verluste, mit Luftangriffen auf die Aufstände reagiert, bewegen sich die westlichen Kräfte auf Washington zu. Ihr Ziel ist es, das Weiße Haus bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli unter ihre Kontrolle zu bringen. So wie die aufständischen Einheiten versucht auch eine Fotojournalistin (Kirsten Dunst) gemeinsamen mit ihrem Kollegen (Wagner Moura) und zwei Zivilisten (Stephen McKinley Henderson, Cailee Spaeny) das Kriegsgebiet zu passieren, um zur Hauptstadt zu gelangen. Doch wem können sie inmitten eines Bürgerkriegs vertrauen?

Kurzrezension: „Civil War“ ist weniger ein Roadmovie durch dystopische Landschaften als ein vielschichtiger Kommentar zur kriegstüchtigen Gesellschaft. Regisseur Alex Garland nutzt intensive Bilder, um dem Publikum die Grausamkeit des Krieges nahezubringen – eine Grausamkeit, die nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern tief in den Köpfen sämtlicher Protagonisten wütet. Der Film taucht in die moralischen und psychologischen Grauzonen des Krieges ein und zeigt, wie diese unsägliche Gewalt die Menschen an ihre physischen und psychischen Grenzen treibt. Das Leitmotiv des Films, die vermeintlich einfache Frage „Auf welcher Seite stehst du?“, entpuppt sich als gefährliche Illusion. Die Journalisten, die diese Frage stellen, müssen erkennen, dass die Trennung zwischen „Freund“ und „Feind“ nicht nur zunehmend verschwimmt, sondern auch letztlich bedeutungslos wird. In dieser Hinsicht ist es der Verdienst des Films, die klassische Freund-Feind-Dichotomie nach Carl Schmitt schonungslos zu dekonstruieren. Neben dieser philosophischen Dimension liefert „Civil War“ auch eine prägnante Medienkritik: Die Journalisten sind stets auf der Jagd nach dem „money shot“ – dem dramatischsten Moment für ihre Berichterstattung. Dabei wird der Krieg nicht nur dokumentiert, sondern auch ästhetisiert und inszeniert. So wird der Film nicht nur zu einer schonungslosen Reflexion über den Krieg, sondern auch über die Rolle und Verantwortung der Medien in einer zerrissenen, von Konflikten geprägten Welt.

Challengers – Rivalen


Film-Genre: Drama | Liebesfilm
Kino-Start:  25. April 2024
Regie: Luca Guadagnino

Tashi Duncan (Zendaya) brachte es in jungen Jahren mit ihren herausragenden Tenniskünsten zu weltweitem Erfolg, ist aufgrund einer Verletzung jedoch inzwischen als Trainerin tätig. Auch ihren Ehemann Art (Mike Faist) coacht die ehrgeizige Powerfrau zum Tennis-Champion. Um sein Formtief zu überwinden, versucht Tashi nun, den Grand-Slam-Sieger zur Teilnahme an einem unterklassigen Turnier zu überreden. Hier soll Art zu alter Stärke zurückfinden. Doch das Comeback nimmt eine überraschende Wendung, als Art gegen Patrick (Josh O’Connor) antreten muss, der nach einem Burnout auf der Tennisweltrangliste abrutschte. Bei Patrick handelt es sich nicht nur um Arts ehemals besten Freund, sondern auch um Tashis früheren Lebensgefährten. Während gegenwärtig alte Gefühle und Rivalitäten hochkochen, muss sich Tashi die alles entscheidende Frage stellen: Wie weit kann sie gehen, um zu gewinnen?

Kurzrezension: „Challengers“ ist kein konventioneller Sportfilm, sondern eine mehrdimensionale Studie über Macht, in der das monotone Hin und Her der Ballwechsel als Echo der emotionalen Dynamik seiner Protagonisten dient. Sayombhu Mukdeeproms innovative Kamera, die sich mal am fliegenden Ball orientiert, mal direkt auf den Tennisschlägern zu haften scheint, inszeniert den Wettkampf zwischen den Rivalen äußerst packend. Doch der sportliche Wettbewerb steht hier nicht für sich; er wird zum Vehikel, das die Mechanismen von Dominanz und Ausbeutung offenlegt – Prinzipien, die im neoliberalen Kapitalismus glorifiziert werden und hier in den zwischenmenschlichen Beziehungen explosiv zutage treten. Auch die physische Anziehung zwischen den Figuren ist mehr als bloße Leidenschaft: Sex wird zum Ausdruck des Strebens nach Kontrolle, und „Challengers“ entfaltet sich besonders in den Momenten, in denen die drei Protagonisten ihre sexuell aufgeladenen Konflikte aufbrechen. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass die Frau nicht als passives Objekt, sondern als manipulierendes Subjekt auftritt, das die Dynamik zwischen den beiden Männern bestimmt. Innovativ gefilmt, intelligent erzählt und stellenweise brillant gespielt, entwickelt sich „Challengers“ zu einem emotional aufgeladenen Machtspiel, das weit über den Center Court hinausreicht.

May December


Film-Genre: Thriller
Kino-Start:  30. Mai 2024
Regie: Todd Haynes

In den 90er Jahren war die Affäre der damals 36-jährigen Gracie (Julianne Moore) und des 13-jährigen Joe (Charles Melton) ein handfester Skandal und ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Mehr als 20 Jahre später führen die beiden ein scheinbar perfektes Vorstadtleben mit netter Nachbarschaft, gepflegtem Garten und drei fast erwachsenen Kindern. Doch ihr häusliches Glück wird gestört, als die berühmte Hollywood-Schauspielerin Elizabeth (Nathalie Portman) eintrifft, um vor Ort für ihre bevorstehende Hauptrolle in einem Film über Gracie zu recherchieren. Während Elizabeth sich in das Alltagsleben von Gracie und Joe einschleicht, kommen die schmerzlichen Fakten der damaligen Ereignisse ans Licht und lassen verschüttete Gefühle wieder aufleben…

Kurzrezension: „Insecure people are very dangerous, aren’t they? I’m secure. Make sure you put that in there.“ Inspiriert von einem wahren Fall, entfaltet „May December“ von Todd Haynes ein komplexes Psycho-Duell, in dem zwei Frauen mit den Untiefen von Liebe, Kontrolle und Wahrheit konfrontiert werden. Was zunächst als beginnt als scheinbar objektive Beobachtung beginnt, entpuppt sich schnell als manipulatives Spiel mit der Wahrheit. Die Schauspielerin Elizabeth wird zur Antagonistin, die nicht nur Gracies Vergangenheit erforscht, sondern auch eigene dunklen Motive offenbart. In diesem Spannungsfeld verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge; die Auseinandersetzung zwischen den beiden wird zum Spiegelbild eines größeren Kampfes – dem der medialen Öffentlichkeit um die Deutungshoheit eines Narrativs. So wirft der Film einen kritischen Blick auf die manipulative Rolle moderner Medien, die mit Doku-Soaps, Reality-TV und Infotainment die Grenze zwischen authentischer Berichterstattung und inszenierter Fiktion immer weiter verwischen.

The Bikeriders


Film-Genre: Drama
Kino-Start:  20. Juni 2024
Regie: Jeff Nichols

Das Leben von Benny Cross (Austin Butler) dreht sich Mitte der 1960er-Jahre um genau zwei Dinge: die Leidenschaft für den Motorrad-Club „Vandals“ unter dem Anführer Johnny (Tom Hardy) und die Liebe zu seiner Frau Kathy (Jodie Comer), die ihn vom ersten Moment an als den unzähmbaren Rebellen akzeptiert, in dem sie sich Hals über Kopf verliebt hat. Doch ihre hingebungsvolle Beziehung wird im Laufe der Jahre zunehmend auf die Probe gestellt, denn Benny hat sowohl dem charismatischen Johnny als auch seiner Frau die Treue geschworen. Schon bald werden die Vandals nicht nur immer größer, sondern auch gefährlicher. Benny muss sich entscheiden zwischen seiner Loyalität zu Johnny und seiner Liebe zu Kathy…

Kurzrezension: Das Drama „The Bikeriders“ erzählt die fiktive, teils romantisierte Geschichte einer Bikergang, inspiriert von dem gleichnamigen Fotoband des Fotographen Danny Lyon – der selbst Teil des legendären Outlaws Motorcycle Club war. Regisseur Jeff Nichols blickt dabei nicht verklärend auf die Vergangenheit, sondern zeichnet ein vielschichtiges Porträt vom Aufbegehren gegen bürgerliche Enge und der Sehnsucht nach Freiheit, getragen von großartigen Darstellern. Der Film entfaltet im Kern den Widerspruch zwischen Rebellentum und bürgerlicher Existenz. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass Jodie Comers Figur der jungen Biker-Ehefrau Kathy, zugleich Erzählerin, einen wirkungsvollen Kontrast zur rauen Männerwelt setzt. In atmosphärisch dichten Bildern fängt Nichols den Geist eines untergehenden Amerikas ein, in der die Grenzen zwischen Romantik und Gewalt, Gemeinschaft und Individualismus zunehmend verschwimmen.

Ein Mann seiner Klasse


Film-Genre: Drama
Kino-Start:  02. Juli 2024
Regie: Marc Brummund

Kaiserslautern im Sommer 1994: Zusammen mit seinen Geschwistern wächst der zehnjährige Christian (Camille Loup Moltzen) in armen Verhältnissen auf. Sein Vater Ottes (Leonard Kunz) verdient mit harter Arbeit den Lebensunterhalt der Familie, doch sein Alkoholkonsum und seine aggressive Art belasten das Familienleben zunehmend. Nach dem plötzlichen Tod von Christians Mutter Mira (Mercedes Müller) droht die Familie endgültig auseinanderzubrechen. Christians Tante Juli (Svenja Jung) nimmt ihn und seine Geschwister zu sich, trotz des Widerstands des Vaters, und setzt mit großem Engagement durch, dass Christian das Gymnasium besuchen kann. Doch der Weg in eine bessere Zukunft ist steinig. In der Schule wird Christian aufgrund seiner Herkunft mit Vorurteilen konfrontiert und auch die neuen Lebenssituation bringt Herausforderungen mit sich. Halt findet er in seiner Leidenschaft für Fußball – besonders dem 1. FC Kaiserslautern – und der Musik von Freddie Mercury, die ihm Mut und Hoffnung geben…

Kurzrezension: „Die Leute denken immer, die versaufen ihr Geld, deshalb haben sie keines. Aber es ist genau andersrum. Das Geld reicht nicht mehr, deshalb fangen sie an zu saufen.“ Basierend auf dem gleichnamigen autobiographischen Roman von Christian Baron erzählt „Ein Mann seiner Klasse“ die Geschichte eines Zehnjährigen, der den unaufhaltsamen Verfall seines Vaters in der kapitalistischen Klassengesellschaft miterlebt: Ottes ist in einem Teufelskreis aus Klassenstolz, Alkoholismus und häuslicher Gewalt gefangen. Und doch ist der Film mehr als eine nüchterne Milieustudie. Inmitten der brutalen, tragischen Realität entfaltet sich eine Liebeserklärung an einen Mann, der trotz allem nie aufhörte, für seine Familie zu kämpfen und so eine leise Hoffnung auf seinen Sohn überträgt. Wenn der Junge schließlich seinen eigenen Weg findet, wirkt das wie ein Triumph – ein Kontrast zu den intensiven, oft verstörenden Bildern zuvor. „Ein Mann seiner Klasse“ fühlt sich an, als würde der Boden unter den Füßen plötzlich wegbrechen. Kein Film, der eine gute Stimmung macht – aber einer, der lange nachhallt!

I.S.S.


Film-Genre: Science Fiction | Thriller
Kino-Start:  18. Juli 2024
Regie: Gabriela Cowperthwaite

An Bord der Internationalen Raumstation forschen zwei Gruppen von Astronauten – eine aus den Vereinigten Staaten, die andere aus Russland – in den Diensten der Wissenschaft und zum Wohle der Menschheit. Doch ihre Mission gerät in Gefahr, als Dr. Kira Foster (Adriana DeBose) erschüttert erfährt, dass auf der Erde ein verheerender Krieg ausgebrochen ist. Der Kontakt zur Erde reißt ab und die Besatzungen stehen zunächst gemeinsam vor einem Rätsel. Die Situation spitzt sich zu, als die US-amerikanischen Astronauten den Befehl erhalten, die Kontrolle über die Module der Raumstation zu übernehmen. Kurz darauf erreichen auch die russischen Kosmonauten ähnlichen Anweisungen. Das fragile Gleichgewicht zwischen den Gruppen beginnt zu bröckeln und aus Misstrauen wird offene Feindseligkeit. Kann inmitten von Konflikten und Verrat ein Ausweg gefunden werden – oder wird der Krieg auf der Erde auch die letzte Bastion des internationalen Friedens zerstören?

Kurzrezension: Der Sci-Fi-Thriller „I.S.S.“, bereits 2021 gedreht und daher nicht direkt mit den aktuellen geopolitischen Konflikten verknüpft, bietet dennoch eine scharfsinnige Allegorie auf den zerstörerischen Einfluss des Nationalismus. In der klaustrophobischen Enge der Raumstation entlarvt Regisseurin Cowperthwaite die Fragilität menschlicher Kooperation: Sobald das Subjekt nationalistisch angerufen wird, wandelt sich Solidarität in Misstrauen, Freund wird zu Feind. Trotz der vielversprechenden Prämisse und der packenden Ausgangslage entfaltet der Film sein Potenzial jedoch nicht vollständig – die Inszenierung hätte raffinierter und kammerspielartiger ausfallen können, um die psychologischen Spannungen und Thriller-Elemente stärker herauszuarbeiten. Doch die bittere Wahrheit bleibt: Nicht das Weltall selbst, sondern der Mensch – in seiner Verblendung und Bereitschaft zur Gewalt – stellt die eigentliche lebensfeindliche Kraft dar.

Verbrannte Erde


Film-Genre: Krimi | Thriller
Kino-Start:  18. Juli 2024
Regie: Thomas Arslan

Nach seiner Flucht aus Berlin kehrt Trojan (Mišel Matičević) zurück, auf der Suche nach neuen Aufträgen, da er in finanzielle Not geraten ist. Doch Berlin hat sich in der Zwischenzeit verändert, und seine einstigen Kontakte erweisen sich als weniger ergiebig. Trojan, der sich auf Bargeld-Jobs spezialisiert hat, erkennt schnell, dass dies in einer immer stärker digitalisierten Welt zunehmend schwieriger wird. Schließlich wird ihm von einer Vermittlerin (Anja Schneider) ein verlockendes Angebot unterbreitet: der Diebstahl des Gemäldes „Frau vor der untergehenden Sonne“ von Caspar David Friedrich aus einem renommierten Museum. Für diese heikle Aufgabe schließt er sich der Fluchtfahrerin Diana (Marie Leuenberger), seinem alten Weggefährten Luca (Tim Seyfi) und dem jungen Chris (Bilge Bingul) an. Anfangs läuft der Plan vielversprechend, doch der geheimnisvolle Victor (Alexander Fehling), Handlanger des Auftraggebers, verfolgt eigene Ziele mit dem Gemälde. Bald schon wird der Coup nicht nur zur Frage des Geldes, sondern vor allem zum Überlebenskampf…

Kurzrezension: „Wenn ich nicht arbeite, mach‘ ich eigentlich nicht viel: Hör‘ mich um, sitze in Cafés, Restaurants, seh‘ mir die Leute an. Und ich lese Architekturzeitschriften.“ Und so zieht es Trojan vierzehn Jahre nach dem Vorgängerfilm „Im Schatten“ zurück nach Berlin – in eine Stadt, die wie eine unmenschliche Bühne wirkt, verbrannte Erde im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Mit formaler Strenge realisiert Regisseur Arslan einen Gangsterfilm, der seine Inspiration deutlich bei Jean-Pierre Melville sucht, dem französischen Großmeister unterkühlter Charakterskizzen. Arslan gelingt es, den Geist von Melvilles Klassikern wie „Der eiskalte Engel“ oder „Vier im roten Kreis“ einzufangen, ohne dass sein Film wie eine bloße Hommage wirkt. Vielmehr greift „Verbrannte Erde“ deren reduzierten Stil auf und führt ihn konsequent weiter: Ein Film der Blicke und Gesten, in dem Dialoge auf das Wesentliche reduziert und die Handlung schnörkellos elegant ist. Im Jahr des Caspar David Friedrich-Jubiläums stellt der Film eine zentrale Frage: Wie viel Romantik steht einem Berufsverbrecher in der Gegenwart überhaupt noch zu? Trojan verkörpert diese Spannung auf eindringliche Weise – als Archetyp des modernen Einzelgängers, dessen Leben von pragmatischer Kälte und einem Hauch unerfüllter Sehnsucht geprägt ist. „Verbrannte Erde“ ist ein eindrucksvoller zweiter Teil der Trojan-Trilogie und beweist, dass sich deutschsprachiges Genrekino nicht verstecken muss. Wir können gespannt sein, wohin Trojans Weg ihn als Nächstes führen wird…

Rebel Ridge


Film-Genre: Action
Kino-Start:  06. September 2024
Regie: Jeremy Saulnier

Als sein Cousin Mike (C.J. LeBlanc) in der US-Kleinstadt Shelby Springs unter mysteriösen Umständen verhaftet wird, reist Terry Richmond (Aaron Pierre) dorthin, um eine Kaution für ihn zu hinterlegen. Doch bald gerät er mit dem aufbrausenden Polizeichef Sandy Burnne (Don Johnson) und seinen korrupten Beamten aneinander, wird enteignet und aus der Stadt verbannt. Doch Terry gibt nicht auf: Mit Hilfe der Gerichtsdienerin Summer McBride (Anna Sophia Robb) beginnt er, tiefgründige Nachforschungen anzustellen. Dabei stößt er auf ein Nest aus Korruption, das bis in die höchsten Kreise reicht. Während seine Gegner davon ausgehen, mit den beiden leichtes Spiel zu haben, unterschätzen sie Terrys Vergangenheit als ehemaliger Marine-Soldat. Mit seinem unerschütterlichen Willen wird Terry zur Bedrohung für die Mächtigen der Stadt – und der Kampf um die Wahrheit nimmt eine gefährliche Wendung…

Kurzrezension: Subversiv unterläuft Regisseur Jeremy Saulnier die Konventionen des Actionfilms: Der Ex-Marine, der in einem anderen Kontext zur Killermaschine mutieren könnte, wird hier zu einem Deeskalationsexperten, der sich mit fast schon pazifistischen Mitteln der gewalttätigen Logik eines korrupten Systems widersetzt. Der Film stellt eine klare Absage an Gewalt als Lösung dar und verweigert sich der Bestätigung herrschender Strukturen. Vor dem düsteren Hintergrund realer Polizeigewalt gegen schwarze Menschen in den USA entfaltet „Rebel Ridge“ eine beklemmende Latenz. Im zweiten Teil des Films kommt es leider zu einigen erzählerischen Längen, die den innovativen Spannungsaufbau bremsen, ohne jedoch den Gesamteindruck nachhaltig zu beeinträchtigen.


Honorable Mentions:

Stella. Ein Leben, Poor Things, The Palace, The Holdovers, Last Stop in Yuma County, Rickerl – Musik is höchstens a Hobby, All of Us Strangers, Love Lies Bleeding, Ferrari, Andrea lässt sich scheiden, Ein Glücksfall, Die drei Musketiere – Milady, King’s Land, Joshua Kimmich – Anführer und Antreiber, Konklave


Filme, die ich 2024 außerdem gesehen habe:

Argylle, Night Swim, Madame Web, The Book of Clarence, Drive-Away Dolls, Club Zero, The Fall Guy, Planet der Affen: New Kingdom, Bad Director, Furiosa: A Mad Max Saga, Bad Boys: Ride or Die, Beverly Hills Cop: Axel F, A Killer Romance, Führer und Verführer, MaXXXine, Twisters, Deadpool & Wolverine, Zwei zu Eins, Borderlands, The Substance, Speak No Evil, Eifersucht, Megalopolis, Joker: Folie à Deux, Venom: The Last Dance, Gladiator II, Blitz

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