Wie es aktuell bei CETA steht und was das für TTIP bedeutet

Die Zweifel sind groß: Die möglichen Auswirkungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA (TTIP) werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. In einer Studie sieht beispielsweise das Centre for Economic Policy Research in dem bilateralen Freihandelsabkommen ein Wachstumspotential für die europäische Wirtschaft in Höhe von rund 119 Milliarden Euro. Die US-Wirtschaft wiederum würde bei einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen von einem möglichen Wachstum in Höhe von etwa 95 Milliarden Euro profitieren1FRANCOIS, Joseph (2013): Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment. An Economic Assessment. Centre for Economic Policy Research, London.. Dieser positiven Bewertung stehen jedoch Schätzungen gegenüber, die das Wachstum des BIP im Promillebereich, auf statistisch irrelevante 0,06 Prozent, beziffern2WALLACH, Lori (2013): TAFTA/TTIP – die große Unterwerfung, Le Monde diplomatique vom 08. November 2013, Berlin..

Zudem wird der seit 2013 laufende TTIP-Verhandlungsprozess vielfach als intransparent und undemokratisch kritisiert. Die Verhandlungsdokumente etwa wurden als streng geheim eingestuft, Bundestagsabgeordnete dürfen diese erst seit Ende Januar 2016 einsehen. TTIP soll hier jedoch gar nicht weiter thematisiert werden, denn in seinem Schatten drängt sich ein weiteres Freihandelsabkommen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit: das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement), kurz CETA.

Die grundlegende Problematik

Gemäß der Außenhandelstheorie3vgl. Theorie der komparativen Kostenvorteile (Ricardo-Modell) und Faktorenproportionstheorie (Heckscher-Ohlin-Modell). sind der Ausbau internationaler Handelsbeziehungen und damit der im Sinne einer Effizienzsteigerung notwendige Abbau von Handelshemmnissen tendenziell zu befürworten. Gerade mit fairen Handelsabkommen ist es theoretisch möglich, die ökonomischen und sozialen Folgen der als Globalisierung empfundenen Denationalisierung nachhaltig und gerecht zu gestalten. Konkret bedeutet dies, den breiten Bevölkerungsschichten zusätzlichen Wohlstand zukommen zu lassen, wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards zu verbessern, sowie faire Wettbewerbs- und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Soweit die Theorie. Problematisch wird es aber insbesondere dann, wenn zeitgleich mit dem Abbau nationaler Zölle und nicht-tarifärer Handelshemmnisse auch die hierzulande geltenden Standards etwa im Bereich des Verbraucherschutz oder der Arbeitnehmerrechte geopfert werden sollen. Darüber hinaus wird befürchtet, dass das Freihandelsabkommen die Tür für weitere Privatisierungen und Deregulierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge  öffnet und diese dann mittels sog. Lock-In-Klauseln nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Ein parteiinternes Arbeitspapier der SPD belegt nun, dass sich die EU und Kanada in ihren Positionen politisch angenähert haben. Damit sei die Chance groß, ein progressives und sozialverträgliches Handelsabkommen abzuschließen. Dieses Dokument hat der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Bernd Lange verfasst, der dem Handelsausschuss für das Europäische Parlament vorsitzt:

„Insgesamt ist es bei CETA gelungen, in vielen Bereichen fortschrittlichere Regeln und Standards zu vereinbaren, als dies in bisherigen europäischen und nationalen Handelsabkommen der Fall war. Allerdings gibt es auch noch offene Punkte und Fragen, die weiterer Prüfung und Klärung bedürfen.“

Bernd Lange bezieht sich in seiner Synopsis auf einen Beschluss des SPD-Parteikonvents aus dem Jahre 2014, der konkrete Anforderungen und Kriterien für einen erfolgreichen Abschluss von transatlantischen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA definiert hat. Dabei stellt er die SPD-Positionen denen des deutschen CETA-Vertragstextes gegenüber. Im Folgenden möchte ich einige der Kernpunkte dieses Papiers herausgreifen:

Transparenz

In Vergleich zu TTIP waren die Verhandlungen zu CETA durchweg transparent. Der CETA-Text fand sich seit dem Jahr 2014 in englischer Rohfassung auf der Website der EU-Kommission. Der jetzt überarbeitete Vertragstext ist zudem seit Juli 2016 in allen 24 offiziellen Sprachfassungen veröffentlicht (hier die deutsche Version). Auch wenn der Verhandlungsprozess des CETA-Abkommens insbesondere im medialen Diskurs wenig Beachtung fand, so hatten die Abgeordneten des Europaparlaments vollen Zugang zu den konsolidierten Textversionen und konnten so selbst den Verhandlungsprozess verfolgen und beeinflussen.

Investitionsschutz

Die öffentliche Debatte kreist um die zentrale Frage, ob private Schiedsgerichte in Streitfragen zwischen Investoren und Staaten (Investor-State Dispute Settlement) entscheiden sollen. Unternehmen können die Vertragsstaaten vor den privaten Schiedsgerichten verklagen, wenn sie ihre zukünftigen Profiterwartungen durch Gesetzgebungen eingeschränkt sehen. Private Schiedsgerichte sind u.a. deshalb umstritten, weil dort die Unabhängigkeit der Schiedsrichter nicht immer gewährleistet ist. Diese werden nach § 1034 ZPO in der Regel von den Vertragsparteien selbst bestimmt. Außerdem findet die eigentliche Streitschlichtung hinter verschlossenen Türen statt. Darüber hinaus fehlt in vielen Fällen ein weiterführender Instanzenzug, so dass Fehlentscheidungen begünstigt werden.

Anstelle dieser privaten Schiedsgerichte findet sich nun im Vertrag das sogenannte Investment Court System. Dieses ständige, rechtstaatliche und öffentlich legitimierte Investitionsgericht mit verbindlicher Berufungsinstanz soll in Zukunft bei entsprechenden Investitionsstreitigkeiten Recht sprechen. Allerdings müssen Investoren ­– wenn möglich – zunächst die jeweilige nationale Gerichtsbarkeit anrufen (Art. 8.22ff CETA). Beide Vertragsparteien behalten sich in Art. 8.9 CETA zudem vor, eigenständige Regulierungsmaßnahmen durchzuführen (Right To Regulate), um legitime politische Ziele etwa im Bereich der Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder im Sozial- und Verbraucherschutz zu erreichen. Good to know: Laut Lange wurden diese substanzielle Veränderungen des CETA-Vertragswerks nur möglich, weil die neue von Justin Trudeau geführte kanadische Regierung eine andere Handelspolitik verfolgt als die konservative Vorgängerregierung. Weiteren Entwicklungsbedarf sieht Lange allerdings in der Unabhängigkeit der Richter. Diese „[…] müsse hieb- und stichfest sein, die Vertragsparteien von CETA müssen dazu auch die Gehaltsfragen für Richterinnen und Richtern noch klären (Art. 8.44 (2)).“

Interessanter Nebenaspekt: Durch CETA erhalten Briefkastenfirmen keine weitergehenden Rechte. Unternehmen müssen eine wesentliche Geschäftstätigkeit nachweisen (Art. 8.1 CETA). Dem mutmaßlichen Vorhaben von Dritt-Unternehmen, den CETA-Investitionsschutz mittels Scheinfirmen als Einfallstor zu missbrauchen, wird dadurch schon von Anfang an ein Riegel vorgeschoben.

Schutz von Arbeitnehmerrechten, Verbraucher- und Umweltstandards

Eine weitere Bedingung des SPD-Parteikonvents war, dass Freihandelsabkommen Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährden dürfen. In Zuge dessen dürfen diese vom Vertragswerk auch nicht als nicht-tarifäre Handelshemmnisse definiert werden. Wie stellt sich dies in der aktuellen CETA-Version dar?

Die Vertragsparteien bekennen sich in der Präambel explizit zu einer nachhaltigen Entwicklung und nennen Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltschutz als wichtige Ziele. Darüber hinaus enthält der CETA-Vertrag eigene Bestimmungen zu den Politikfeldern Handel und Arbeit (Art. 23 CETA), zu Handel und Umwelt (Art. 24 CETA) und zur Nachhaltigkeit (Art. 22 CETA). Dort verpflichten sich die Vertragsparteien ausführlich zum Schutz von Arbeitnehmerrechten, Verbraucher- und Umweltstandards und zu nachhaltigem Wirtschaften. Gemäß der Vorgabe des SPD-Parteikonvents lehnt auch die konsolidierte Version des CETA-Vertragswerk Dumping-Wettbewerb ab. Demnach dürfen handelspolitische Ziele nicht dazu dienen, europäische Schutzstandards für Arbeit und Umwelt aufzuweichen.

Außerdem greift der Grundsatz der handelsbeschränkenden Maßnahmen nach Art. 20 GATT. Demzufolge sind politische Schutzziele im Hinblick auf das menschliche Leben, die Gesundheit, die Umwelt, Tiere und Pflanzen erlaubt und von der Handelsliberalisierung ggfs. ausgenommen. Dieses sog. Vorsorgeprinzip ist EU-Primärrecht (Art. 191 AEUV) und kann als solches nicht durch einen völkerrechtlichen Vertrag wie CETA abgeschafft oder eingeschränkt werden. Somit kann  Gentechnik und Hormonfleisch in der Europäischen Union verhindert werden.

Aus der Perspektive des SPD-Parteikonvents ist der Schutz der Arbeitnehmerrechte besonders wichtig. Mit dem CETA-Abkommen verpflichten sich die EU und Kanada, nachhaltige Anstrengungen im Hinblick auf die Ratifizierung der grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu unternehmen. Die Bestimmungen der acht Kernarbeitsnormen der ILO, von denen Kanada bei Verhandlungsende lediglich zwei ratifiziert hat, befassen sich beispielsweise mit der Beseitigung von Zwangsarbeit4vgl. Nr. 29 Zwangsarbeit, 1930; Nr. 105 Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957., mit dem Arbeitsmindestalter 5vgl. Nr. 138 Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, 1973; Nr. 182 Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999; Nr. 77 Übereinkommen über die ärztliche Untersuchung der Eignung von Kindern und Jugendlichen zur Arbeit im Gewerbe, 1946 und mit der Chancengleichheit und Gleichberechtigung im Beruf6vgl. Nr. 100 Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, 1951; Nr. 111 Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, 1958.. Den Grund für die veränderte Position der kanadischen Regierung sieht Bernd Lange auch hier in der neuen Regierung des linksliberalen Premierministers Trudeau:

„Die neue kanadische Regierung hat zwischenzeitlich erklärt, die beiden ausstehenden ILO-Normen zu ratifizieren. Am 09. Juni 2016 hat Kanada die Konvention 138 ratifiziert. Die Ratifizierung der ILO-Konvention 98 soll zügig folgen.“

Die öffentliche Daseinsvorsorge und Beschaffung

Das CETA-Vertragswerk soll zudem ein hohes Niveau im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge garantieren. Somit entspricht es auch an dieser Stelle dem SPD-Beschluss, in dem es heißt:

„Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland muss gewahrt werden. Für den Bereich der Daseinsvorsorge sollen keinen Verpflichtungen in Deutschland übernommen werden.“

Spezielle Schutzvorbehalte der öffentlichen Daseinsvorsorge und somit eine staatliche Gestaltungshoheit sind durch CETA insbesondere im Bereich der Wasserversorgung7vgl. Annex II/Anhang 9, S. 101., der Bildung 8vgl. Annex II/Anhang 9, S. 110 sowie bei Gesundheits- und sozialen Dienstleistungen 9vgl. Annex II/Anhang 9, S. 111 festgeschrieben (hier zum deutschsprachigen Annex).

Im Bereich der öffentlichen Beschaffung ergeben sich laut Lange zudem zahlreiche Chancen für europäische Unternehmen. Firmen aus Kanada konnten sich schon seit Jahren an öffentlichen Ausschreibungen in der Europäischen Union beteiligen. Durch CETA wird diese Möglichkeit jetzt auch für europäische Unternehmen in Kanada ermöglicht. Abgesehen davon werden die bestehenden EU-Vorschriften über Vergabeverfahren von CETA nicht berührt. Diese werden auch weiterhin durch europäische und nationale Beschaffungsrichtlinien reguliert.

Was nun kommt – der weitere Zeitplan

Bis zu Letzt wurde über einen Punkt heftig diskutiert: Ist das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada als gemischtes Abkommen zu behandeln und greift somit zusätzlich zum EU-Ratifizierungsprozess der Zustimmungsvorbehalt der 28 nationalen Parlamente? Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Kompromissvorschlag unterbreitet: Sowohl das Europäische Parlament als auch die 28 nationalen Parlamente müssen das CETA-Vertragswerk ratifizieren, ehe es vollständig in Kraft treten kann. Die Ratifizierung im EU-Parlament wird voraussichtlich im Frühjahr 2017 abgeschlossen sein. Eine entsprechende Ratifizierung auf nationaler Ebene hingegen kann sich durchaus noch über mehrere Jahre erstrecken.

Ob die hier beschriebenen Veränderungen des Vertragswerks zudem als substanzielle Verhandlungserfolge gelten können, ist zum aktuellen Zeitpunkt weiterhin fraglich und wird sich wohl erst im Laufe der Parlamentsdebatte der kommenden Monate zeigen. Zumindest für Matthias Miersch, dem Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, ist der CETA-Vertrag in der vorliegenden Form weiterhin nicht unterschriftsreif. Insbesondere moniert Miersch, dass im Bereich des Investitionsschutzes weiterhin noch zu viele unklare Rechtsbegriffe existierten. Im Einklang mit dem DGB fordert der SPD-Abgeordnete daher, das Kapitel zum Investitionsschutz komplett zu streichen, da die bestehenden Rechtssysteme beider Vertragspartner ausreichend Rechtssicherheit für Investoren böten. Diese Diskussion zeigt jedoch, wie weit TTIP, das zweite transatlantische Freihandelsabkommen, von einer realistischen Umsetzung entfernt ist. Insbesondere die Implementierung des Investment Court System im CETA-Vertrag erscheint als signifikanter Fortschritt, wohingegen TTIP weiterhin den alten Weg der privaten Schiedsgerichte gehen möchte.

Vielen gilt CETA als Blaupause für TTIP – an der tendenziell positiven Entwicklung bei den CETA-Verhandlungen sollten sich daher auch die TTIP-Verhandlungsparteien ein Vorbild nehmen. Denn transparente Verhandlungen und demokratische Einflussmöglichkeiten für die Abgeordneten aus EU- und nationalen Parlamenten sowie eine angemessene gesamtgesellschaftliche Diskussion sind notwendige Bedingungen für den erfolgreichen Abschluss eines solch weitreichenden Vertrags.

Referenzen

Referenzen
1 FRANCOIS, Joseph (2013): Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment. An Economic Assessment. Centre for Economic Policy Research, London.
2 WALLACH, Lori (2013): TAFTA/TTIP – die große Unterwerfung, Le Monde diplomatique vom 08. November 2013, Berlin.
3 vgl. Theorie der komparativen Kostenvorteile (Ricardo-Modell) und Faktorenproportionstheorie (Heckscher-Ohlin-Modell).
4 vgl. Nr. 29 Zwangsarbeit, 1930; Nr. 105 Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957.
5 vgl. Nr. 138 Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, 1973; Nr. 182 Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999; Nr. 77 Übereinkommen über die ärztliche Untersuchung der Eignung von Kindern und Jugendlichen zur Arbeit im Gewerbe, 1946
6 vgl. Nr. 100 Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, 1951; Nr. 111 Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, 1958.
7 vgl. Annex II/Anhang 9, S. 101.
8 vgl. Annex II/Anhang 9, S. 110
9 vgl. Annex II/Anhang 9, S. 111

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