#thisisacoup? – Deutschlands Umgang mit der Eurokrise

Sorry, schon wieder dieses Europa, schon wieder dieses Griechenland. Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, meinen nächsten Artikel über das Buch, das ich gerade lese, zu schreiben, respektive allgemein über unterirdische Übersetzungen und bodenlose TV-Synchronisationen. Das leidige Thema Griechenland brennt mir aber einfach immer noch zu sehr unter den Nägeln.

Vor kurzem haben sich Vertreter der griechischen Regierung und die Gläubigerstaaten auf ein neues, mittlerweile drittes, Rettungspaket geeinigt. Anscheinend konnte der griechische Ministerpräsident, kurz zuvor noch durch ein überragendes Abstimmungsergebnis innenpolitisch in seiner Position gestärkt, diese in den Verhandlungen nicht verteidigen und ist vor dem drohenden Grexit-Szenario eingeknickt. Doch die ersten Maßnahmen sind die pure Fortsetzung der gescheiterten Austeriätspolitik der letzten Jahre (sehr gut zusammengefasst in diesem kurzen Video von attac). Das aktuelle Paket beinhaltet insbesondere:

  • Steuererhöhungen, insbesondere die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes. Dies trifft in einem weitaus stärkeren Maße die einkommensschwachen Teile der Bevölkerung und sorgt mit Sicherheit nicht dafür, dass der Binnenkonsum angeregt wird.
  • Eine Rentenreform, um die Lebensarbeitszeit zu verlängern, also das Renteneintrittsalter zu erhöhen.
  • Automatische Ausgabenkürzungen, wenn die Staatsausgaben aus dem Ruder laufen.
  • Sowie eine Reform der Statistikbehörde, um deren Unabhängigkeit sicherzustellen.

Wohlgemerkt sind dies Sofortmaßnahmen und müssen schnellst möglichst umgesetzt werden. Hinzu kommen noch eine Reform der griechischen Bankenaufsicht und eine Art Treuhandfond, also ein Fond, der die Privatisierung von griechischem Staatseigentum vorantreiben soll. Mit letzterem sollen zusätzliche Einnahmen in Höhe von 50 Mrd. Euro generiert werden. Als zusätzliche langfristige Projekte sind die Reform des Verwaltungsapparats und eine Reform des Zivilrechts vorgesehen.

Der soziale Abstieg Griechenlands ist vorprogrammiert

Der Großteil dieser Maßnahmen bewirken, dass der Staat seine Ausgaben weiter zurückfährt. Natürlich nimmt der Staat durch Privatisierungen (egal, wie man dazu politisch steht) zusätzliches Geld ein. Dieses fließt zur Hälfte in die Finanzierung griechischer Banken und zu 25 Prozent in die Bedienung der Auslandsschulden. Einzig die restlichen 25 Prozent, also im Idealfall 12,5 Mrd. Euro, sollen für Investitionen verwendet werden dürfen. Doch die Gläubigerstaaten haben sich diesmal von ihrer spendablen Seite gezeigt und genehmigen Griechenland ein Investitionsprogramm in Höhe von 35 Mrd. Euro. Blöd nur, dass jedem EU-Mitgliedsstaat Investitionen in dieser Höhe zustehen. Und diese fließen als sogenannte Kofinanzierungen auch nur dann, wenn auch der griechische Staat Geld hinzuschießt. Und mit dieser lächerlichen Finanzspritze soll die griechische Wirtschaft angekurbelt werden? Zumal es fraglich ist, ob Griechenland diese überhaupt erhält?

Mit diesem Maßnahmenkatalog wird nur weiter der konjunkturelle und soziale Abstieg Griechenlands befeuert. Und das schlimmste: das ist nur eine Lösung auf Zeit, wie Ökonomen quer durch alle Theorieschulen voraussagen. Mangels strukturiert gefördertem Wirtschaftswachstum wird die griechische Wirtschaft nicht substanziell wachsen, der Staat wird sich weiter verschulden (müssen) und in spätestens drei Jahren stehen wir dann vor demselben Problem. Vorausgesetzt, es gibt sie dann noch, die Europäische Union.

Dies führt mich zu einer Fehlentwicklung, die in letzter Zeit immer deutlicher zu spüren ist. Also weg vom Ökonomischen hin zum Politischen. Die Europäische Union bricht auseinander. In Großbritannien, Finnland, eigentlich in jedem Land gibt es eine rechtspopulistische Anti-EU-Partei, teils sitzen sie schon in der Regierung (Dänemark), teils rechnen sie sich gute Chancen aus, demnächst die Regierung zu stellen (Frankreich). Und auch Deutschland darf sich jetzt einer rechtskonservativen Partei mit starken Übergängen ins rechtsnationale Lager „rühmen“.

Dabei brauchen wir uns doch gar nicht zu wundern. Die EU basiert auf vielen Bereichen auf einem eklatanten Demokratiedefizit. Sie besitzt ein Parlament, deren Abgeordnete im Laufe der Jahre zwar mehr Mitspracherecht erhalten haben, bei substanziellen Fragen jedoch immer noch außen vor sitzen. Die relevanten Akteure in diesem System sind immer noch die Nationalstaaten und deren Regierungen. Und diese werden, der Verdacht liegt nahe, immer eher nationale Interessen verfolgen. Das mag vielleicht wie eine Phrase klingen, aber wir brauchen jetzt mehr denn je ein vereintes Europa.

A Chicken Game | cartoon by Schrank
A Chicken Game | © Peter Schrank

Eine Kampagne gegen Griechenland

Die Rolle, die die Deutschland als die herausragende Hegemonialmacht Europas in dieser ganzen Entwicklung spielt, ist einmal mehr traurig. Zunächst wird das griechische Volk in einer hetzerischen Medienkampagne von Bild und Konsorten über Monate hinweg diffamiert. Bis zum Abschluss der Gespräche, die sich spieltheoretisch wie ein sogenanntes chicken game darstellen, wird die griechische Regierung nicht als Verhandlungspartner, sondern einzig als Schuldner behandelt. Ist das ein vereintes, solidarisches Europa? Schließlich wünscht sich die BILD-Zeitung die Eiserne Kanzlerin zurück, in Anspielung auf den Eisernen Kanzler Otto von Bismarck. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl pöbelt:

Der Grieche hat lange genug genervt.

Und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble droht Griechenland mit einem Grexit auf Zeit und stürzt dessen Regierung damit in eine tiefe Regierungskrise. Dies alles, obwohl es CDU/CSU und SPD schlussendlich einmal mehr gelungen ist, der restlichen Eurozone eine neoklassische Wirtschaftspolitik aufzuzwingen, deren Erfolg zumindest zweifelhaft ist. Ein Verdacht lässt mich einfach nicht mehr los, nämlich dass die Bundesregierung (explizit auch die SPD-Führung) versucht, mit ihrem Chauvi-Gehabe eine unliebsame Linksregierung loszuwerden, um vor den anstehenden Wahlen in Spanien ein Exempel zu statuieren (dort rechnet sich die SYRIZA-ähnliche Bewegung Podemos gute Chance auf eine baldige Regierungsbeteiligung aus).

You know nothing, Alexis Tsipras © Matthias Elbert
© Matthias Elbert

Doch abseits des ganzen parteipolitischen Gezänks finde ich diesen in letzter Zeit aufkommenden Chauvinismus gegenüber anderen Staaten wirklich beschämend und langsam richtig eklig. Und wenn auch zum achtzigsten Mal über die „arbeitsscheuen Pleitegriechen“ oder die „Ausländer-Maut“ schwadroniert wird, das sind doch alles Pauschalisierungen, denen jegliche Menschlichkeit und Reflektion fehlt. Sascha Lobo schreibt auf seinem Blog:

Der Grieche. Dieser Sound ist gut bekannt aus dem preußischen Reim, „Jeder Stoß ein Franzos‘, jeder Schuss ein Russ’“, man muss wahrscheinlich froh sein, dass Strobl nicht dichtete: „Mit einem Tritt zum Grexit“, mein Vorschlag für das nächste Mal wäre: „Jeder Stich ein Griech’“.

Ja verdammt. Ich kann in dieser Art und Weise der Kommunikation nirgendwo die viel zitierten europäischen Werte erkennen. Sollte sich der Kern Europas laut Präambel des Vertrags über die Europäische Union nicht aus dem kulturellen, religiösen und humanistischem Erbe der europäischen Völker bilden? Und sollte die Europäische Union nicht die Solidarität zwischen den Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen stärken? (ich kann den Artikel von Sascha Lobo jedem nur wärmstens ans Herz legen)

Gegen einen neuen Chauvinismus!

Fuck, warum behandeln wir „die Anderen“ so oft in einem herablassenden Unterton? Warum regt sich jeder Stammtisch-Politiker über die arbeitsscheuen, steuerhinterziehenden Griechen auf, nur um sich im gleichen Atemzug unter dem Tisch zu verkriechen, wenn der deutsche Fiskus in der Schweiz eine Steuer-CD mit den Namen von tausenden mutmaßlichen Steuerhinterziehern kauft. Warum erregen wir uns über die Unfähigkeit der griechischen Verwaltung, können aber selbst den Berliner Hauptstadt-Flughafen nicht rechtzeitig fertigstellen. Achja, halt. Das waren ja die Berliner. Klar, dass die das nicht können…

Dieser Chauvinismus vermischt mit einer unglaublichen Arroganz und Überheblichkeit ist es, der Europa kaputtmacht. Und die politische Elite in Deutschland spielt in diesem Orchester der Vorurteile munter mit. Wenn ich beispielsweise an die Flüchtlingsströme denke, dann werden die dringenden Probleme, die nur von europäischer Seite gelöst werden können, beileibe nicht weniger. Dabei sind wir, wir alle, auch nur Menschen. Und wir sind alle Europäer. Gerade Deutschland trägt doch eine besondere Verantwortung für den Frieden in Europa. Ergo müssen wir uns auf unsere gemeinsamen Werte und unsere Solidarität mit den anderen Völkern Europas besinnen. Wir brauchen wieder einen stärkeren, gemeinsamen Integrationsprozess hin zu einer wirklich demokratischen Union mit einer gebündelten Kompetenz in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und kein Europa des Finanzkapitals, der Wirtschaft und der nationalstaatlichen Einzelinteressen. Es muss eine Konferenz auf höchster Ebene initiiert werden, auf der (1) ein Schuldenschnitt für die Schuldnerstaaten vereinbart wird, (2) ein europaweites Investitionsprogramm um die Binnenwirtschaft in allen Staaten zu stimulieren und nachhaltiges Wachstum zu generieren sowie (3) konstruktiv und rational über die Zukunft Europas nachgedacht wird. Das Europa, so wie es sich aktuell strukturiert und darstellt, macht Europa nachhaltig kaputt. Vielleicht ist das alles sehr naiv und nicht realistisch. Aber was ist die Alternative?

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