Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den vielzitierten Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Er steht im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und wurde wesentlich von Bundeskanzler Olaf Scholz geprägt. Dem Begriff inhärent ist seine semantische Janusköpfigkeit: Zeitenwende beschreibt das plötzliche Ende einer Epoche und zugleich den Beginn einer neuen Zeit. In gewisser Hinsicht ist diese darin liegende, vermeintliche Singularität jedoch eine Illusion: Tatsächlich gehören Aufrüstung und der Einsatz militärischer Gewalt schon seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire russischer wie chinesischer und auch westlicher Außenpolitik nach 1990. Dessen ungeachtet hat sich in diesem Zeitraum die deutsche Perzeption Internationaler Beziehungen zugunsten einer in normative Strukturen eingebetteten globalen Ordnung vom Modell eines anarchischen Staatensystems entfernt. Dahinter steht jedoch bestenfalls eine fahrlässige Naivität, im schlechtesten Falle eine überhebliche Fehleinschätzung der Realität. Denn imperialistische, revisionistische und reaktionäre Elemente sind nicht erst seit dem 24. Februar 2022 weltweit auf dem Vormarsch – auch im aktuellen Kino.