Was war das für eine Woche. Leonard Cohen, der kanadische Singer-Songwriter und Schriftsteller, ist im Alter von 82 Jahren in Los Angeles verstorben. Noch im Oktober 2016 erschien mit You Want It Darker sein mittlerweile 14. Studioalbum.
Und dann ist da ja noch dieser Typ, Donald Trump, der ab 20. Januar 2017 der mächtigste Mann der Welt sein wird. Nach seiner Wahl am Dienstag wird in San Diego eine junge Studentin mit Kopftuch von jungen Männern belästigt, in Chicago verprügeln Schwarze einen Weißen, weil dieser Trump gewählt hat. In Portland dagegen wird eine Person am Rande einer Anti-Trump-Demonstration angeschossen. Es scheint, als wüsste in einem zerrissenen Land nach diesem schrecklichen Wahlkampf niemand, wie es jetzt weitergehen soll. Auch ich selbst verspüre ein seltsames Gefühl, ich möchte viel sagen, bin aber irgendwie doch sprachlos. Nachfolgend also meine Anmerkungen zum US-Präsidentschaftswahlkampf 2016.
Die Wahlkampfstrategie von Donald Trump
Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten war für mich letzten Endes keine Überraschung. Ein Demagoge wie Donald Trump weiß genau, wie er sich gegenüber einem medialen Umfeld bewegen muss. Seine Wahlkampagne beschränkte sich einzig darauf, seine demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton zu diffamieren – und mit ihr sowohl die etablierten Mainstream-Medien, die angeblich voreingenommen zu Gunsten der Demokratischen Partei berichteten, als auch die Partei-Elite in Washington, die angeblich machtbesessen und korrupt sei.
Bei näherer Betrachtung lassen sich in dieser Wahlkampagne eine simple Strategie erkennen. Nachdem er seine Kandidatur medienwirksam im Trump-Tower verkündet hatte, war es sein vorrangiges Ziel mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dies gestaltete sich nicht sonderlich schwierig, denn die Medien haben auch jeden noch so kleinen Skandal aufgegriffen, den „The Donald“ erzeugte. Donald Trump diffamierte Mexikaner pauschal als Vergewaltiger und Drogendealer, wollte Foltermittel wie das Waterboarding wieder einführen und plädierte für den tatsächlichen Einsatz von Nuklearwaffen. Auch sein Konzept zur Bekämpfung der IS-Terroristen sorgte für viel Aufsehen: „I would bomb the shit out of them. I would just bomb those suckers (…) and I take the oil.” Obwohl Trumps Vorschlag gegen die IV. Genfer Konvention sowie die Haager Abkommen und somit gegen schon lang etabliertes internationales Recht verstoßen – die Medien saugten jede Äußerung des exzentrischen Milliardärs förmlich auf. So wurde in der freien Berichterstattung (Free Media; die Berichterstattung, die nicht von den Kandidat_innen selbst bezahlt wird) öfter über Trump berichtet als über alle anderen republikanischen Präsidentschaftskandidaten zusammen. Auch die beiden populären demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders und Hillary Clinton erreichten bei weitem nicht diese mediale Präsenz wie Donald Trump.
Donald Trump nutzte die dazugewonnene Sendezeit geschickt aus, um bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass er die Wahl im November 2016 gewinnen werde. Der Zuschauer_innen musste somit nicht nur den Eindruck gewinnen, Donald Trump sei der wichtigste Kandidat im gesamten Bewerberfeld, sondern dass er tatsächlich gewinnen würde.
Donald Trump stellte seine Mitkandidat_innen genau in das Licht, in dem sie selbst nicht gesehen werden wollten. So bezeichnete er den ehemaligen Gouverneur Floridas Jeb Bush (seinen anfänglich aussichtsreichen Herausforderer) durchgehend als Weak Person, den texanischen Senator Ted Cruz als Lying Ted. Marco Rubio, republikanischer Senator aus Florida, war für Trump dagegen nur Little Marco. Für seine spätere demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton fand er den Beinamen Crooked Hillary. Trump wiederholte diese Spitznamen immer und immer wieder.
Ein kleiner Exkurs in die kognitive Gehirnforschung zeigt, dass Sprache kein abstraktes Gerüst ist. Um Worte zu begreifen, aktiviert unser Gehirn sogenannte Frames, also Wissen, Erinnerungen und Gefühle, die wir mit diesen Worten unbewusst verbinden. So transportieren Worte weitaus mehr Informationen und Emotionen als es uns selbst zunächst bewusst ist.1Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, edition medienpraxis, Köln. Durch das beschriebene Framing haben sich die von Trump eingeführten abwertenden Spitznamen verselbstständigt und wurden fester Bestandteil des politischen Diskurses etwa auf Twitter. Dieser Diskurs hatte mit einer sachlichen und rationalen Auseinandersetzung nichts mehr gemein – aber in seiner Simplifizierung anscheinend einen großen Einfluss auf breite Bevölkerungsschichten.
Trumps Kampagnenstrategie kann zusammenfassend in vier Elemente unterteilt werden:
- Generierung uneingeschränkter medialer Aufmerksamkeit
- Identifizierung und Ansprache einer spezifischen Wählerschaft
- Identifizierung und Eliminierung potentieller Konkurrenten
- Beeinflussung des öffentliches Diskurses durch Agenda Setting und Framing
Hillary Clinton – die demokratische Gegenkandidatin
Aus Sicht der Wahlkampfleitung von Donald Trump war Hillary Clinton die ideale Gegenkandidatin. Als Absolventin der elitären Yale Law School, als First Lady im Weißen Haus von 1993 bis 2001 und als Außenministerin in der Obama-Administration von 2008 bis 2013 ist Clinton bestens im politischen Washington vernetzt und repräsentiert somit das von Trump durchgängig attackierte politische Establishment.
In einer beispiellosen Diffamierungskampagne gelang es dem Wahlkampfteam von Donald Trump, Hillary Clinton als korrupte, machtbesessene und verantwortungslose Politikern darzustellen. In Folge stürzten die Beliebtheitswerte von Clinton rapide ab, obwohl sie noch gegen Ende ihrer Amtszeit als Außenministerin im Jahr 2012 mit Abstand als beliebteste Politikerin der USA galt.
Doch auch Clinton selbst hat Fehler begangen. Sie verstieß gegen Dienstvorschriften, als sie insgesamt etwa 30.000 dienstliche E-Mails über private Server und ein privates E-Mail-Konto verschickte. Das FBI stellte sein Ermittlungsverfahren wegen unzulässigen Umgangs mit geheimen Informationen gegen Clinton jedoch im September 2016 ein. Gegen Ende ihrer Amtszeit gestand sie außerdem Fehler im Bürgerkrieg in Libyen ein und übernahm die Verantwortung für die Folgen des Anschlags auf das US-Konsulat in Bengasi, bei dem vier Menschen starben, darunter der US-Botschafter der Vereinigten Staaten John Christopher Stevens. Das US-Außenministerium habe nicht genügend qualifizierte Sicherheitsleute zum Schutz des Konsulats abgestellt.
Auch die familieneigene Clinton Foundation, die zahlreiche soziale Projekte fördert, geriet in die Kritik. Während ihrer Zeit als Außenministerin waren Vertraute von Hillary Clinton Spendern der Stiftung dabei behilflich, Kontakte für Staatsaufträge anzubahnen. So überwiesen Rüstungskonzerne und deren Abnehmer rund 140 Millionen Dollar, nachdem Clinton die Geschäfte als Außenministerin bewilligt hatte. Rechtsstehende Medien brandmarken die Clinton Foundation seither als krasses Beispiel für das korrupte Verhalten von Bill und Hillary Clinton – das Negative Campaining von Donald Trump fiel also auf fruchtbaren Boden.
Doch nicht nur Hillary Clinton, auch die stellvertretende Leiterin ihrer Wahlkampagne Huma Abedin war teilweise heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Schon 2012 behaupteten einige republikanische Politiker, darunter die Kongressabgeordnete Michele Bachmann, Abedin hätte Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft. Die Anschuldigungen stellten sich als haltlos heraus, Abedins Familie wurde daraufhin jedoch unter Polizeischutz gestellt. Im Sommer 2016 wurde Abedins kultureller Hintergrund erneut in den Mittelpunkt gerückt.
Clinton oder Trump – die Entscheidung
Nach dem Rückzug des demokratischen Sozialisten Bernie Sanders wandten sich viele seiner Unterstützer_innen enttäuscht von der Demokratischen Partei ab. Dazu trugen auch von Wikileaks veröffentlichte E-Mails bei, die enthüllten, wie hart die Auseinandersetzungen zwischen Clinton und Sanders im Vorwahlkampf ausgefochten wurden. Sie offenbarten, dass die Parteiführung wohl durchgehend auf eine Präsidentschaftskandidatur Hillary Clintons hingearbeitet hat. Auch in Deutschland riefen daraufhin einige ehemalige Sympathisant_innen von Bernie Sanders zur Wahl von Donald Trump auf, um eine Präsidentschaft der Verbrecherin Hillary Clinton zu verhindern.
Doch Hillary Clinton ist trotz aller Fehler keine Verbrecherin. Sie trägt auch keine Alleinschuld für die Kriege im Irak und Syrien und ist auch nicht alleine verantwortlich für 60.000 tote Zivilisten in Libyen. Natürlich muss man über die Rechtmäßigkeit von Kriegen kontrovers diskutieren – einer Person die absolute Verantwortung zu übertragen, ist schlicht populistisch und verkürzt die Situation gewaltig. Nach deutschen Maßstäben, nachzulesen in § 12 StGB, sind „Verbrechen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.“ Hillary Clinton wurde nicht angeklagt, geschweige denn verurteilt, rechtswidrige Taten begangen zu haben. Das Argument, Hillary Clinton sei eine Verbrecherin, ist also aus rechtstheoretischer Sicht zurückzuweisen.
Sicherlich war aus einer bestimmten europäischen Perspektive Bernie Sanders der passendere Präsidentschafts-Kandidat. Dennoch müssen sich einige seiner frustrierten Anhänger_innen den Vorwurf gefallen lassen, einer reaktionären Agenda voller Rassismus und Unterdrückung, Diskriminierung Sexismus und Ausgrenzung Tür und Tor geöffnet zu haben. Mir ist es immer noch komplett unverständlich, wie man den Wahrheitsgehalt etablierter Medien komplett anzweifeln, die Propaganda staatlicher Sender wie Russia Today aber bedingungslos übernehmen kann (nein, Huma Abedin hat auch keine Verbindungen zu den IS-Terrorist_innen).
Die US-Wahl war eben keine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Für Donald Trump bietet sich nun u.a. die Möglichkeit, durch die Nominierung konservativer Richter_innen am Supreme Court die Mehrheitsverhältnisse dort und damit im ganzen Land auf Jahre hinweg zu bestimmen. Im Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten sitzen normalerweise neun Richter_innen, nach dem Tod von Antonin Scalia im letzten Jahr nur acht (aktuell vier liberale und vier konservative). Nachdem die Republikaner unter dem Präsidenten Obama eine Neubesetzung aus parteipolitischen Gründen und ohne verfassungsrechtliche Grundlage verzögert haben, ist nun der Weg für einen konservativen Kandidaten frei und somit für eine republikanische Mehrheit innerhalb des Supreme Courts. Denkbar ist, dass Donald Trump nun – mit Unterstützung eines konservativen Supreme Courts – bedeutende Entscheidungen, etwa zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen (Obergefell v. Hodges; United States v. Windsor; Lawrence v. Texas) oder zum Grundrecht auf Schwangerschaftsabbruch (Roe v. Wade) revidieren wird. Die Gefahr eines reaktionären Backlash ist also Wirklichkeit geworden. Jeder, der progressiv und emanzipatorisch denkt, hätte bei seiner Wahlempfehlung die realpolitischen Auswirkungen im Auge behalten sollen – leider ist es dafür jetzt zu spät.
Vielmehr zeugt der unverhältnismäßige Hass auf Hillary Clinton von einem fehlenden Demokratieverständnis – auch hierzulande. Demokratie bedeutet eben nicht, wie fälschlicherweise oft behauptet, die uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Demokratie verlangt den unbedingten Schutz der Minderheit und die legitime Möglichkeit, dass aus ihr bei der nächsten Wahl die Mehrheit wird. Damit dies gelingt, existiert der Rechtsstaat. Akzeptanz und Toleranz pluralistischer Meinungen sowie die Fähigkeit zum Kompromiss sind die eigentliche Essenz westlicher Werte und eben nicht der selbstgerechte Ruf nach einer monistischen Gesellschaft und die Abwertung divergierender Meinungen.
Was nun bleibt
Rein theoretisch könnten die Wahlmänner und -frauen im Electoral College einen US-Präsidenten Donald Trump noch verhindern. Zwar besitzen die Electorals in 24 von 50 Bundesstaaten kein imperatives Mandat, sie sind also nicht an das Bürger-Votum gebunden. Es gilt jedoch als äußerst unwahrscheinlich, dass sie eigenwillig anders abstimmen – in der US-Geschichte haben 99 Prozent der Wahlmänner und -frauen für den Sieger in ihrem Staat gestimmt. Wir müssen uns wohl mit dem Ergebnis arrangieren.
Gesagtes kann man nicht ungesagt machen. Auch wenn der Zwang des Amtes nicht viel Platz für radikale Maßnahmen geben wird – Donald Trump hat diesen Wahlkampf auf populistische Art und Weise mit einer rassistischen, sexistischen, unsozialen und diffamierenden Agenda gewonnen. Das darf man ihm auch in Zukunft nicht durchgehen lassen. Einer der Gründe für die Popularität von Nicht-Inhalten in dieser politischen Auseinandersetzung (und nicht nur dieser!) liegt meines Erachtens in der undemokratischen, antiaufklärerischen Energie der sozialen Netzwerke. Spätestens mit der Etablierung des Webs 2.0 ist es für jedermann möglich, seine Meinung zu verbreiten. Davon lebt natürlich auch dieses Blog. Im Nachhinein wird einem allerdings bewusst, dass man sich mit dem Internet eben nicht nur das Gute nach Hause holt. Die Unterschiede zwischen Wahrheit und Fiktion verschwimmen, viele Menschen können nicht zwischen Fakten, Meinungen und Manipulationen unterscheiden und sind mit der Fülle an Informationen anscheinend überfordert. Auch eine fehlende Medienkompetenz sorgt also für gesellschaftliche Spaltung. Für die amerikanische Gesellschaft ist es nun eine riesige Herausforderung, die durch diesen Wahlkampf entstandenen Gräben wieder zuzuschütten. Vor diesem Hintergrund scheint der eigentlich notwendige Gedanke an eine Reform des US-amerikanischen Wahlrechts ziemlich illusorisch. Zwar ist kein politisches System per se demokratischer als das andere. Dennoch ist auch innerhalb der USA das eigene Wahlsystem nicht unumstritten.
Es ist auch keine Überraschung, dass Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin dem designierten US-Präsidenten zu seiner Wahl gratuliert haben – das gehört einfach zum guten Ton. Demzufolge hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert und Trump eine enge Zusammenarbeit angeboten. Sie knüpfte dies allerdings ausdrücklich an die Achtung westlicher Grundwerte wie Demokratie, Freiheit, dem Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen. Hört, hört.
Über die Auswirkungen der Präsidentschaftswahl auf Europa lässt sich vorerst nur spekulieren. Als sicher gilt, dass die Bundesrepublik Deutschland als Führungsmacht Europas, insbesondere nach dem Rückzug Großbritanniens, zivil und auch militärisch mehr Verantwortung übernehmen muss. Der von Donald Trump im Wahlkampf propagierte Isolationismus würde die seit 70 Jahren etablierte relativ friedliche Sicherheitsarchitektur der westlichen Welt jedenfalls gehörig ins Wanken bringen. Für die Europäische Union bietet diese sicherheitspolitische Ausgangssituation jedoch eventuell die Möglichkeit, der europäischen Integration mit einer Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik neuen Schwung zu geben.
Der diffamierende Charakter des US-Präsidentschaftswahlkampfes sollte uns allerdings nachdenklich machen. Er lehrt uns, dass Demokratie und liberaler Verfassungsstaat Errungenschaften sind, um die es sich tagtäglich zu kämpfen lohnt – gerade auch im Hinblick auf die anstehende Wahl zum Deutschen Bundestag im nächsten Jahr. Wie dichtete Leonard Cohen in seinem Song Anthem: „There is a crack in everything. That’s how the light get in”.
Referenzen
↑1 | Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, edition medienpraxis, Köln. |
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