Der Fall Böhmermann bewegt nun seit gut zwei Wochen die Republik und wurde auf Grund des EU-Türkei-Abkommens sogar schon zu einer handfesten Staatsaffäre stilisiert. Die Gretchenfrage dabei ist, ob die Bundesregierung dem Strafverlangen der türkischen Regierung nachgibt und ihrerseits der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Die Bundesregierung selbst hat sich letzten Freitag, nach mutmaßlich heftigen internen Diskussionen zwischen SPD und Union, schließlich dafür entschieden, Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator zu ermöglich. Nach einer jüngsten Umfrage jedoch sehen zwei Drittel der Deutschen diese Entscheidung kritisch und sprechen sich gegen ein Strafverfahren aus. Warum bin ich anderer Meinung?
Die Rechtsgrundlage des Straftatbestands der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten findet sich im § 103 StGB i.V.m. § 104a StGB:
Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Dabei spielt es keine Rolle, dass sich Recep Tayyip Erdoğan nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Vielmehr bezieht sich der Passus „das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält“ ausschließlich auf das Mitglied einer ausländischen Regierung, nicht auf das ausländische Staatsoberhaupt.
Als notwendige Voraussetzung zur Strafverfolgung wird weiter eine Vorlage der ausländischen Regierung genannt:
Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
Diese liegt mit dem Ersuchen der türkischen Regierung vor. Der oben genannte Tatbestand berührt auf keiner Weise den einer herkömmlichen Beleidigung, wie er in § 185 geregelt ist. Auch hier jedoch hat der türkische Präsident Anzeige gegen Jan Böhmermann erstattet.
Ein starkes Signal des Rechtsstaats
Soweit also die Rechtslage – die Bundesregierung stand vor der Entscheidung, ob sie die Strafverfolgung ermöglicht oder nicht. Damit bewegen wir uns, laut § 104a StGB im politischen, nicht im strafrechtlich-juristischen Bereich. Es ist also eindeutig eine politische Entscheidung, ob die Staatsanwaltschaft gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines Vertreters ausländischer Staaten ermittelt. Hätte sich die Bundesregierung, so wie es einige populistische Stimmen fordern, gegen eine Verfolgungsermächtigung entschieden, hätten sie eine der Prinzipien des Rechtsstaats ad absurdum geführt, nämlich die der horizontalen Gewaltenteilung. Demnach obliegt die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland der Gerichtsbarkeit, also in der Judikative und nicht in der Exekutive. In anderen Worten: ein ordentliches Gericht wird darüber entscheiden, ob das Böhmermann’sche Schmähgedicht eine Satire ist oder nicht. Das ist dann auch nicht das Ende der Kunst- und Meinungsfreiheit oder ein weiterer Schritt hin zur Diktatur Merkel, sondern lediglich der gängige Vollzug des Rechtsstaats. Und vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist es wichtig zu zeigen, dass sich auch die Bundeskanzlerin an deutsches Recht hält. Darüber hinaus ist es auch ein starkes rechtstaatliches Zeichen an die autoritären Tendenzen in Ankara.
Eine strafrechtliche Einschätzung, ob das Gedicht den Kriterien einer Schmähkritik entspricht, kann ich abschließend natürlich nicht geben. Meiner Laien-Meinung nach wollte Jan Böhmermann mittels eines pubertären Pamphlets die Grenzen des Rechtsstaats aufzeigen. Wahrscheinlich hat ihn dabei auch einfach nur folgendes Video der Whitest Kids U‘ Know aus den USA inspiriert:
Das Schmähgedicht ist also in einem größeren Kontext sehen, in dem Jan Böhmermann eben zeigen wollte, was man in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland eben nicht darf. Und wenn darauf schlussendlich folgt, dass die antiquierte und unsinnige Rechtsnorm der Majestätsbeleidung abgeschafft wird, wie es nun u.a. die SPD fordert, dann hat Jan Böhmermann schon einiges erreicht. Sollte es zu einer entsprechenden Novellierung kommen, kann die Verunglimpfung des Bundespräsidenten in § 90 StGB auch gleich mit abgeschafft werden. Warum auch sollten politischen Funktionsträgern weitreichendere Persönlichkeitsrechte eingeräumt werden, wie dem Gros der Bevölkerung?
Es ist natürlich ebenso wichtig zu sagen, dass Satire generell in der Realität eben nicht alles darf. Es besteht eben kein Recht auf obszöne Beleidigung, siehe den schon erwähnten Straftatbestand der herkömmlichen Beleidigung, geregelt in § 185. Und das ist auch gut so.
Der Fall Böhmermann – ein politisches Event?
Die Aufregung, welche die Causa Böhmermann in den einschlägigen Medien entfacht hat, ist dagegen Ausdruck eines pseudopolitischen Interessen eines Teils der Bevölkerung, in dem es nicht um politische Inhalte geht, sondern hauptsächliche um den medienwirksamen Eventcharakter von Politik. Diese Neigung zur Inszenierung lässt sich u.a. auch daran ablesen, dass für viele Menschen die Satire-Shows im Fernsehen wie die Heute-Show oder extra3 nicht mehr nur eine Ergänzung, sondern sogar die Grundlage ihrer Beschäftigung mit Politik sind. Immer wieder liest man auf Facebook Kommentare, die sich über die Einseitigkeit und Meinungsmache in den Öffentlich-Rechtlichen Medien, aber allen Ernstes den investigativen Journalismus der Sendung Die Anstalt loben. Mal ganz ehrlich – hat Deutschland zurzeit nicht ernsthaftere Probleme als ein lächerliches Schmähgedicht?