Bloodline – We’re Not Bad People, But We Did a Bad Thing

Historische Ereignisse haben mitunter dramatische Auswirkungen auf die Gegenwart – das ist das zentrale Thema der US-amerikanischen Drama-Serie Bloodline des Streaming-Anbieters Netflix. Dort ist mittlerweile die zweite Season verfügbar, die sich zusammen mit Staffel Eins perfekt für einen Serienmarathon an einem verregneten Sommer-Wochenende eignet. Wieso mich die Geschichte rund um die Rayburns so fasziniert und weshalb sich der Einstieg auch ein Jahr nach Erscheinen noch lohnt, möchte ich im Folgenden – weitestgehend spoilerfrei – beschreiben.

Die Handlung von Bloodline

Das Leben der Familie Rayburn könnte nicht besser sein. Robert Rayburn (Sam Shepard) führt zusammen mit seiner Frau Sally (Sissy Spacek) seit gut vier Jahrzehnten ein kleines Ferienhotel in Monroe County auf den nördlichen Florida Keys. Inmitten dieses Paradieses mit seinen langen, weißen Sandstränden, den schattigen Palmen, den dichten Mangroven-Wäldern der nahen Everglades und dem unverschämt klaren Wasser hat sich der traditionsbewusste Familienpatriach ein eigenes kleines Reich aufgebaut. Sally und Robert Rayburn haben drei Söhne und eine Tochter:

  • John Rayburn (Kyle Chandler), der zweitälteste Sohn der Rayburns. John arbeitet als County Sheriff und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn aus.
  • Kevin Rayburn (Norbert Leo Butz) ist der hitzköpfige, jüngste Sohn der Familie. Er besitzt eine Marina mit Yachtverleih nicht unweit von dem Anwesen seines Vaters. Kevin verkörpert den coolen Onkeltyp, feiert oft, trinkt zuweilen auch den einen oder anderen Cocktail zu viel und neigt zu impulsivem Verhalten.
  • Meg Rayburn (Linda Cardellini) ist die einzige Tochter und das jüngste der vier Geschwister. Sie hat die Law School der Florida State University besucht und vertritt als Anwältin die juristischen Belange der Familie.
  • Der älteste Sohn Danny Rayburn (Ben Mendelsohn) arbeitet als Koch in seinem eigenen Restaurant in Miami und ist so etwas wie der ungeliebte Außenseiter und das schwarze Schaf der Familie. Einzig seine Mutter bringt für ihn Verständnis auf.

Als Danny seine Eltern anlässlich deren 45. Hochzeitstags in ihrem Hotel besucht, ahnt noch niemand, dass damit die Schatten der Vergangenheit geweckt werden. Denn jeder Familienclan besitzt ein dunkles Geheimnis, so auch die Rayburns, und folglich hegen einige Familienmitglieder starke Bedenken ob des Besuchs von Danny. John konstatiert gleich zu Beginn der ersten Episode aus dem Off:

“Sometimes you know something’s coming. You can feel it. In the air. In your gut. And you don’t sleep at night. The voice in your head is telling you that something is going to go terribly wrong and there’s nothing you can do to stop it. That’s how I felt when my brother came home.“

Die Handlung vom Bloodline nimmt ganz gemächlich ihren Lauf. Wie der Titel schon vermuten lässt, bildet die Abstammung (engl. bloodline) den zentralen Anknüpfungspunkt für alle folgenden Ereignisse. Anfangs wähnt man sich daher auch eher in der literarischen Gattung des amerikanischen Familienromans. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, umso mehr erfährt auch der Zuschauer von dem dunklen Geheimnis, das die Rayburns umgibt. Die Ereignisse werden immer dramatischer und enden schließlich wie in einer griechischen Tragödie unausweichlich in der Katastrophe.

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Im Laufe der Handlung erfährt der Zuschauer mehr über das Familiengeheimnis. (© Saeed Ayani | Netflix)

Cast und Charakterzeichnung

Die Figuren von Bloodline sind durchweg hervorragend besetzt. Gerade durch die unterschiedlichen Charaktere der Rayburns harmonieren die Figuren bestens miteinander. Dem Autoren-Team gelingt es, dem Zuschauer nach und nach die Stärken und Schwächen jeder einzelnen Figur offenzulegen: Kyle Chandler glänzt als verantwortungsvoller County Sheriff, auch Sam Shepard brilliert in der Paraderolle des Familienpatriarchen Robert Rayburn. Lediglich die Storyline von Meg Rayburn geht im Vergleich zu der ihrer Brüder etwas unter. Insbesondere aber der Australier Ben Mendelsohn, der im kommenden Star Wars Spin-Off Rogue One: A Star Wars Story die Rolle des imperialen Military Director Krennic übernimmt, liefert als Danny eine herausragende Leistung ab.

Danny Rayburn symbolisiert als Außenseiter nicht etwa den klassischen Antihelden, sondern sein Agieren ist zu jeder Zeit undurchschaubar und zwielichtig. Manchmal gibt er sich einer verbitterten, depressiven Grundstimmung hin, während er gerade zu Beginn oft Witz und sogar Charme zeigt. Dem undurchsichtigen, fast schon misanthropischen Verhalten Dannys stehen die klaren Wertevorstellungen seines jüngeren Bruders John gegenüber. John will für seine Geschwister ein Vorbild sein, übernimmt Verantwortung und weiß in jeder Situation das scheinbar Richtige zu tun.

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<span“>Die Rolle von Danny ist ambivalent und undurchsichtig. (© Saeed Ayani | Netflix)

Durch die bewusst gemächlich gehaltene Erzählweise ist die Beschreibung der Charaktere, insbesondere die der beiden Antagonisten John und Danny umso komplexer und entfaltet spätestens ab der dritten Episode einen Sog, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Zudem spielen die Drehbuch-Autoren Todd A. Kessler, Glenn Kessler und Daniel Zelman immer wieder mit der Parteinahme der Zuschauer. Sie lassen John sagen:

„We’re not bad people, but we did a bad thing.”

Johns Selbsteinschätzung trifft den Nagel auf den Kopf. Denn wer hier der Böse und wer der Gute ist, lässt sich nur schwer feststellen. Der klassische Sympathie-Kompass spielt regelmäßig verrückt und man ertappt sich immer mal wieder bei dem Gedanken, ob man nun dieser oder jener Figur seine Zuneigung schenken soll. Auch über die wirklichen Motive wird der Zuschauer vielfach im Unklaren gelassen. Dies unterstreicht einmal mehr die Ambivalenz aller Charaktere. In Bloodline existieren keine scharfen Trennlinien zwischen Gut und Böse, sondern es sind die vielen Grautöne, durch die hier eine nachvollziehbare und glaubwürdige Geschichte erzählt wird.

Die Atmosphäre von Bloodline

Faszinierend ist außerdem die Atmosphäre, welche von der Handlung transportiert wird. Allein das Wetter, das sich im Laufe der Serie in Anlehnung an die Dramaturgie immer weiter verschlechtert, bis sich schließlich monsunartiger Regen über die paradiesischen Keys ergießt. Schon im Intro zur Serie wird diese Symbolik angedeutet: Strahlender Sonnenschein weicht einem traumhaften Abendrot. Doch schon am nächsten Tag ziehen über dem Horizont dunkle Gewitterwolken auf, stimmungsvoll untermalt von folkiger Gitarrenmusik (empfehlenswert: Book of Fears – The Water Let’s You In).

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Der einsetzende Monsunregen und folgenreiche Entscheidungen. (© Saeed Ayani | Netflix)

Die schwüle Hitze, die jedem Gewitter vorausgeht, lässt sich aber auch an anderer Stelle festmachen: vor jeder Tür, jedem Fenster hängen dicke Mosquito-Netze, die luftigen Hemden der Protagonisten sind durchgeschwitzt und nachts hört man durchgängig das monotone Zirpen der Zikaden. Die Tragik der Ereignisse ist für den Zuschauer so fast greifbar. Das sich ankündigende Gewitter ist jedoch nicht nur metaphorisch zu sehen. Den Machern gelingt es, mit den tropischen Gewittern einen dramatischen Kontrapunkt zu der sonnigen Paradieswelt zu setzen. Insbesondere die Nacht, in welcher der monsunartige Regen einsetzt und einige Protagonisten folgenreiche Entscheidungen treffen müssen, gehört für mich zu den intensivsten Szenen der gesamten ersten Staffel.

Mit der ersten Staffel von Bloodline ist den Machern ein wirklich atmosphärisches Meisterwerk gelungen. Es bleibt aber abzuwarten, ob dies auch auf Staffel Zwei zutrifft. Zumindest mit Staffel Eins bietet Netflix jedoch drei gute Gründe, um ein verregnetes Wochenende mit Spannung vor dem Fernseher zu verbringen.

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